Unsere zweite Station in Bulgarien ist das beschauliche Städtchen Targowischte. Bereits vor einigen Monaten, als ich meinem Kollegen und Freund Richard im Büro zum ersten Mal von unserer geplanten Reise erzählte, schlug er spontan vor, dass wir doch seine Schwiegereltern in Bulgarien besuchen könnten. Was sich anfangs nach einer Schnapsidee anhörte, hat sich über die letzten Wochen immer weiter konkretisiert und wurde in unseren Reiseplan aufgenommen. Bei einem Abschiedsbesuch daheim bei Richard und seiner Frau Keri zeigen die beiden uns Bilder und kurze Videos aus Targowischte, sodass wir eine ungefähre Ahnung davon haben, was uns erwartet. Wir freuen uns darauf, nach vielen Tagen in verschiedenen Großstädten nun ein paar Tage auf dem Land verbringen zu dürfen.
Nach einer sechsstündigen Zugfahrt kommen wir schließlich am Bahnhof an und steigen hier in den Stadtbus (genauer gesagt einen umgebauten Mercedes-Sprinter) um, der uns zu einem Vorort Targowischtes bringen soll. Am beschriebenen Ziel steigen wir gespannt aus. Alles was wir von unseren Gastgebern bislang wissen, ist, dass sie Petranka und Georgi heißen und ein wenig deutsch und ansonsten bulgarisch und russisch sprechen. In Vorbereitung auf diese erste sprachliche Herausforderung habe ich auf der Zugfahrt extra noch zwei Lektionen meiner Russisch-App durchgearbeitet.
„Leo?“, höre ich eine Stimme neben mir, während ich noch durch den Sucher unserer Kamera schaue, um ein möglichst gutes Bild der Dreifaltigkeitskirche im Abendlicht zu schießen. Neben uns steht eine ältere Dame und schaut uns und unsere großen Wanderrucksäcke fragend an. Als Leo „Yes“ antwortet, ist alle Skepsis aus ihrem Gesicht verschwunden und sie umarmt uns zur Begrüßung herzlich, so als ob wir uns schon lange kennen würden. Sofort ist das Eis gebrochen und als sie sich bei Leo unterhakt, um uns zu ihrem Haus zu führen, sind wir uns sicher, dass der Stop hier eine gute Idee war.
Zu Hause angekommen, begrüßt uns auch Keris Vater Georgi sehr herzlich und lädt uns sogleich in die Stube auf ein Glas selbstgebrannten Rakija ein. Während Leo Petranka zum Laden nebenan begleitet, um Kuchen zu besorgen, zeigt mir Georgi anschließend seinen Hof und vor allem seine Tiere. Ich staune nicht schlecht, als ich neben Hunden und Katzen auf einmal von Ziegen, Hühnern, Puten und Truthähnen umringt werde, die im Freigehege munter durcheinander laufen. Als Leo von der Einkaufstour zurück ist, bekommen wir sogar noch die Stallhasenzucht zu sehen – Georgis ganzer Stolz. Wir sind überrascht von so viel Bauernhof-Idyll und verbringen einige Zeit damit, alles zu erkunden.
Während Georgi sich um die Tiere kümmert, erklärt uns Petranka mit Händen und Füßen, dass es in ihrem Haus derzeit nur eine Toilette und keine Dusche gibt. Wir machen uns bepackt mit Handtüchern und Shampoo auf zu ihrem zweiten Haus, in dem wir duschen dürfen. Auf dem Weg dorthin bekommen wir einen ersten Eindruck vom Dorf und Petranka grüßt unterwegs allerlei Bekannte, die wir zufällig treffen, oder die neugierig aus ihren Häusern schauen. Hier kennt noch jeder jeden haben wir den Eindruck. Die Dusche ist nach der langen Anreise an diesem sonnigen und frühlingshaft warmen Tag mehr als willkommen und frisch gewaschen genießen wir die abendliche Stimmung im Garten unserer Gastgeber.
Während Leo mit Petranka das Abendessen vorbereitet, sitze ich mit Georgi in der Stube. Über die klassische Rollenverteilung an diesem Abend beschwere ich mich nicht… Es zeigt sich, dass man sich auch mit wenigen Worten prächtig unterhalten kann. Auch wenn ich bislang nur Grundkenntnisse in Russisch habe, reicht es immerhin aus, um uns über die grundlegenden Dinge auszutauschen. Wo kommst Du her? Was machst Du beruflich? Hast Du Geschwister? Gefällt Dir Bulgarien? Diese Fragen und einiges mehr kann ich mit meinem geringen Wortschatz gerade so beantworten. Von Georgi erfahre ich unterdessen, dass er vor Kurzem eine Auszeichnung für den besten selbstgemachten Wein im Ort erhalten hat. Stolz zeigt er mir das Abzeichen, dass er an der Wand aufgehängt hat und versucht mir so gut es geht zu erklären, wie er den Wein aus seinen eigenen Trauben herstellt.
In diesem Moment kommen Petranka und Leo aus der Küche zurück. Beide haben die Hände voller Schüsseln und Töpfe, aus denen ein verführerischer Duft strömt. Es gibt Hasenbraten, dazu Kartoffelsalat und Salat aus dem eigenen Garten. Wir sind zunächst skeptisch; Hase haben wir beide noch nie gegessen. Doch nach den ersten Bissen ist klar: Alles ist super lecker und unsere Gastgeber freuen sich, dass wir einen gesunden Appetit mitgebracht haben. Auch der selbstgemachte Wein schmeckt uns und nach einem sehr fröhlichen und unterhaltsamen Mahl fallen wir müde, aber glücklich ins Bett.
Der nächste Morgen beginnt mit einem herzhaften Frühstück, dass Petranka früh morgens, als wir noch schlafen, frisch zubereitet hat. Fast haben wir ein schlechtes Gewissen, als wir sehen, was die beiden, die bereits seit 6 Uhr auf den Beinen sind, an diesem Tag schon alles erledigt haben. Georgi hat sich um die Tiere gekümmert und schneidet, während wir noch frühstücken, die zu lange gewordenen Weinreben im Garten zurück. Petranka setzt sich zu uns an den Tisch; sie will uns heute Targowischte zeigen. Nach dem Frühstück machen wir uns daher fertig und fahren gemeinsam mit dem Bus in die Stadt.
Nach dem Schulmuseum stehen noch das Völkerkundemuseum sowie das Archäologische Museum Targowischtes auf dem Programm. In jedem der Museen sind wir die einzigen Besucher und bekommen von den Museumsangestellten einen exklusiven Rundgang durch die Ausstellungen. Leider sprechen sie kein Englisch und für komplexere Themen reichen meine Russisch-Kenntnisse noch nicht aus. Nach den Museumsbesuchen steht uns der Sinn nach einem Spaziergang und Petranka führt uns zu einem netten kleinen See, in dem sogar Schildkröten leben.
Nach einem ereignisreichen Ausflug kehren wir am Nachmittag wieder zum Haus von Petranka und Georgi zurück. Während Georgi immer noch im Garten beschäftigt ist, begibt sich Petranka in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Es gibt Pitka, ein typisch bulgarisches Weißbrot aus Hefeteig. Dieses Mal bin ich für die Küchenhilfe eingeteilt. Während der Hefeteig noch im warmen Backofen geht, schneide ich Frühlingszwiebeln und wasche Salat, den wir eben noch im Gewächshaus der beiden geerntet haben.
Wieder ist der Tisch reich gedeckt und als uns Petranka stolz ihre perfekt gelungene Pitka präsentiert, läuft uns das Wasser im Munde zusammen. Die Stimmung am letzten Abend unseres Besuchs ist wieder heiter und gerne stoßen wir mit den beiden mit Georgis Wein „auf die Gesundheit“ an.
Viel zu schnell geht unsere Zeit in Targowischte vorüber und schon packen wir wieder unsere Rucksäcke und begeben uns zum Bahnhof. Obwohl wir Petranka und Georgi erst seit zwei Tagen kennen und uns nur durch ein paar Wörter Russisch, Deutsch und ansonsten mit Händen und Füßen verständigt haben, so fühlen wir uns fast, als ob wir schon zur Familie gehören. Zum Abschied schenkt uns Petranka eine bulgarische Flagge und Georgi lässt uns nicht gehen, ohne uns eine 2-Liter-Cola-Flasche seines Weins sowie eine kleine Flasche Rakija mit auf den Weg zu geben. Vor so viel unbefangener Gastfreundschaft können wir nur den Hut ziehen. Vielen Dank für alles, Petranka und Georgi! Und vielen Dank, Keri und Richard, für die Vermittlung hierher!
Von Targowischte aus fahren wir weiter nach Warna, wo wir unser erstes großen Ziel, das Schwarze Meer, erreichen. Für die kommenden zwei Tage haben wir uns ein kleines Appartement gemietet. Nach vielen spannenden und abwechslungsreichen Tagen, die wir bei (zunächst) fremden Menschen verbringen durften, brauchen wir ein bisschen Zeit für uns, um zur Ruhe zu kommen und das Erlebte zu verarbeiten. Hier in Warna fällt das nicht schwer, da die Sonne scheint und die Strandpromenade zu ausgedehnten Spaziergängen einlädt.
Am unserem letzten Abend in Bulgarien verabreden wir uns spontan mit Yordanka, die wir vor drei Tagen im Zug nach Targowischte kennengelernt hatten. Sie zeigt uns einige interessante Stellen der Stadt und schenkt uns zum Abschied sogar noch ein Glas Honig aus Warna. Wir sind gerührt! 🙂
Als wir am nächsten Morgen in den Bus nach Istanbul steigen, ist uns bewusst, dass wir eine super Zeit in Bulgarien hatten. Mit einer Mischung aus Wehmut und Vorfreude auf die Türkei fahren wir in Richtung Grenze und hoffen, bei unserem nächsten Ziel ähnlich viel Glück zu haben!
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Wir verfolgen eure Reise gespannt! Weiterhin schöne Zeit und feine Speisen!! 🙂
Naiara&Tobi
Danke euch, ihr beiden! Liebe Grüße in die alte Heimat! 🙂