Istanbul begrüßt uns mit goldenen Sonnenstrahlen des sich zu Ende neigenden Tages und einem Stau, der sich gewaschen hat. Zwei Stunden lang zuckeln wir durch die 15-Millionen-Metropole, bis wir endlich am Bayrampaşa Busbahnhof ankommen. Da sind wir! Angekommen in der Türkei! Merhaba İstanbul!
Vorab hatten wir überlegt, ob wir wirklich in die Türkei reisen wollen. Viele Medienberichte haben uns zweifeln lassen, ob die Türkei aktuell ein gutes Ziel ist. Über Alternativen hatten wir uns bereits Gedanken gemacht. Aber schließlich haben wir uns entschieden, uns alles erst mal anzuschauen. Den ersten schönen Moment erleben wir direkt im Bus nach Istanbul: Die hinter uns sitzende Frau reicht uns Kekse, Nescafé-Pulver, Feuchttücher und anderes allerhand Nützliches nach vorne. Wir bedanken uns mit einem Müsliriegel noch direkt aus Deutschland, sie freut sich sehr. Jedenfalls macht sie ein dementsprechendes Gesicht ? Als sie sich in einem Vorort von Istanbul zum Aussteigen bereit macht, fragt sie uns, woher aus Deutschland wir kommen. „Aus der Nähe von München.“ Sie strahlt uns an: „München and Istanbul are friends!!“. Wir lächeln zurück, sie steigt aus und wir winken uns noch lange zu, während der Bus bereits weiterfährt. „Das ist doch ein guter Start!“, denke ich mir beruhigt.
Angekommen am Bayrampaşa Busbahnhof bewältigen wir die übliche erste Tat in einem neuen Land – Geldautomat finden und Geld abheben – erfolgreich und machen uns auf den Weg in Richtung Zentrum. Die Metro bringt uns zuverlässig zum Taksim Platz, in dessen Nähe wir uns für die kommenden fünf Tage eine kleine Wohnung gemietet haben.
Unser Vermieter selbst ist geschäftlich im Süden des Landes unterwegs, aber ein Freund führt uns auf dem Weg zur Wohnung durch die İstiklal Caddesi, der wohl bekanntesten Straße Istanbuls. Süßwarenläden mit beeindruckend gestapelten Leckereien, westliche Modeketten, Botschaften, Cafés und Eisverkäufer, die eine Menge Lärm machen, reihen sich Laden an Laden. Wir biegen ab und laufen durch kleine Gässchen in ein ruhigeres Wohnviertel zu unserer Wohnung.
Istanbul! Wir sind müde von der langen Anreise, aber auch aufgeregt. Es ist anders hier als in unseren letzten Stationen. Wir stellen die großen Rucksäcke in die Ecke und machen uns wieder auf ins Straßengetümmel, auf der Suche nach einem leckeren Abendessen. Rasch werden wir fündig und bestellen in einem kleinen Restaurant Mezze, Tapas-ähnliche Speisen, in unserem Fall kalt, vegetarisch und überaus köstlich!
Am kommenden Tag wandern wir durch unser Wohnviertel und stehen unerwartet an einem kleinen Bootsanleger. Mit dem Schiff fahren wir auf die andere Seite des Goldenen Horns und genießen unsere ersten Blicke auf Istanbul vom Wasser aus. Wo fängt man in einer solch riesigen Stadt eigentlich mit dem Besuchsprogramm an?
Wir gehen im Stadtteil Eminönü an Land und wandern von dort aus durch die Stadt. Menschenmengen bahnen sich ihren Weg durch die engen Straßen, überall werden Simit, leckere Sesamkringel, verkauft. Der Muezzin ruft zum Gebet und unbeabsichtigter Weise stehen wir plötzlich in einer lautstarken Veranstaltung der „Evet“-Fraktion, der „Ja“-Sager, die versuchen, noch dem Referendum gegenüber Unentschlossene zu überzeugen. Nicht weit davon entfernt und ebenso laut macht die „Hayır“-Fraktion, die „Nein“-Sager, auf ihre Botschaft aufmerksam. „Vermeiden Sie Menschenansammlungen!“, kommt mir der Hinweis des Auswärtigen Amtes in den Sinn. Lustig, wie soll das hier funktionieren?!
Unser Spaziergang führt uns zur Hagia Sophia, einem unserer unbedingten must-sees. Wir kommen fünf Minuten zu spät und werden auf den nächsten Tag vertröstet, das Museum ist bereits geschlossen. Also spazieren wir weiter zur Blauen Moschee und werden nett darauf hingewiesen, dass nun Gebetszeit ist und Besucher in etwa einer Stunde wieder in die Moschee dürften. Nicht unser Timing heute…
Also wenden wir den touristischen Highlights für’s Erste den Rücken zu und machen einen ausgedehnten Spaziergang an der Uferpromenade. Wir haben ja Zeit. Schauen wir uns unsere must-sees eben an einem der kommenden Tage an!
Und das machen wir! Am nächsten Tag setzen wir unsere Besichtigungstour fort und sind dieses mal früher dran. Die Hagia Sophia, obwohl zur Hälfte eingerüstet, begeistert uns! Einst als byzantinische Kirche erbaut, wurde sie später zur Moschee und ist heute ein Museum. Wir sehen Bilder Marias mit dem Christuskind neben dem Mihrab, der muslimischen Gebetsnische. Ein Taufbecken, das vermutlich größte weltweit, ist hier zu finden, ebenso wie Herrschergräber von Sultanen, Prinzen und Prinzessinnen.
Tief beeindruckt schlendern wir von der Hagia Sophia in Richtung der Blauen Moschee. Wieder ist Gebetszeit und so nehmen wir im Park davor auf einer Bank Platz.
„Excuse me, could my son ask you some questions?“, werde ich plötzlich von einer Frau angesprochen. Neben ihr steht ein schüchterner, etwa 12 Jahre alter Junge. „Sure“, antworte ich und beide lächeln mich an. „Where are you from?“, „What is your name?“, „How do you like Turkey?“, werde ich gefragt. Als alle Fragen beantwortet sind, nutze ich die Gelegenheit, den Jungen zu fragen, in welche Klasse er geht und warum er dieses Interview macht. Aber dafür reicht sein Englisch noch nicht und nach einem Lächeln ziehen Mutter und Sohn von dannen.
Wir wollen uns der Blauen Moschee zuwenden, da stehen plötzlich Alperen und sein Freund vor uns. Sie sind Tourismusstudenten und müssen ein Interview für die Uni führen. Ist heute der allgemeine Interviewtag? Nach wenigen Minuten haben wir ihre Fragen beantwortet und ich nutze die Gelegenheit, den Spieß umzudrehen. „Was ist für euch der schönste Platz in Istanbul?“, möchte ich von ihnen wissen. Sie schauen sich fragend an und müssen lachen. Bestimmt zehn Plätze und Orte nennen sie uns, auf nur einen können sie sich nicht festlegen. „Do you like Turkey?“, fragen sie uns zum Abschied und freuen sich sehr, als wir dies bejahen.
Als die Gebetszeit vorbei ist, machen wir uns endlich auf den Weg zu Blauen Moschee. Wir laufen durch Absperrgitter für Besucher – heute haben wir diese für uns alleine. „Was muss sonst hier los sein?“, schließt es mir durch den Kopf. Von einem netten Herrn wird mir ein Rock in die Hand gerückt, meine lange Hose alleine reicht für den Besuch der Moschee nicht aus. Unsere Schuhe ziehen wir aus und tragen sie in einer Plastiktüte mit uns rum, meine Haare verdecke ich mit meinem Schal, den Rock habe ich angezogen. So gekleidet dürfen wir die Moschee betreten und schreiten durch die Türe. Dicker Teppich dämpft unsere Schritte und ehrfurchtsvoll blicken wir in die Höhe. Wahrhaft beeindruckend bemalt und verziert sind die Wände. Grüppchen von Männern sitzen auf dem Teppich, von den Besuchern durch ein Band getrennt. Hinter uns ist der sichtgeschützte Frauenbereich für die betenden Muslimas. Für die Kinder scheint die Moschee eher ein Spielplatz zu sein. Jungen und Mädchen tollen durch den großen Raum, spielen Fangen und haben viel Spaß. Die Erwachsenen lassen sich von ihnen nicht stören.
Es ist bereits dunkel, als wir aus der Moschee kommen. Wir wandern zurück durch die Straßen, überqueren eine große Brücke und spazieren vorbei am Galata Turm zurück nach Hause. Wir sind todmüde, viele Kilometer haben wir heute zu Fuß zurückgelegt.
Wir machen uns gerade bettfertig, als ich Sebastian aus dem Badezimmer fluchen höre. „Was ist denn jetzt passiert?“, frage ich mich. Seine Zahnkrone hat sich gelöst und liegt nun auf seiner Handfläche. „Immerhin hier in Istanbul!“, denke ich mir. Das Programm für den morgigen Vormittag ist somit entschieden…
Der kommende Tag begrüßt uns sonnig, aber frisch. Nachdem Sebastians Zahnkrone fachmännisch angeklebt wurde, fahren wir wieder mit dem Schiff nach Eminönü und nehmen endlich die von mir schon lange gewünschte Bosporus-Rundfahrt in Angriff. Gemütlich fahren wir gute 15 Kilometer den Bosporus auf der einen Uferseite hinauf und auf der anderen Seite wieder hinab. Es ist durch den starken Wind kalt geworden und wiedermal erfreuen wir uns an unseren Jacken! Spontan entscheiden wir auf dem Rückweg, das Schiff früher zu verlassen und steigen auf der asiatischen Seite Istanbuls, in Üsküdar, aus. Wir wandern am Wasser entlang, kaufen uns zwei Simit und genießen den Blick auf das europäische Ufer. Asien! So spontan und leicht sind wir nun hier her gekommen!
In Üsküdar finden wir endlich die entspannten Cafés direkt am Wasser, die wir bereits vermisst hatten. Mit vielen anderen jungen und alten Menschen nehmen wir auf gepolsterten Stufen direkt am Wasser Platz und schlürfen wieder mal einen leckeren Çaj, während wir die vorbeifahrenden Schiffe beobachten. Darum sind wir hier, schließt es mir durch den Kopf! Für Augenblicke wie diese sind wir unterwegs, da stimmen wir beide überein!
Am kommenden Tag werden wir Istanbul verlassen. Wir haben uns ein Auto gemietet, mit dem wir für die kommenden zwei Wochen durch die Türkei reisen werden. Unabhängigkeit und problemlose Erreichbarkeit abgelegener Orte versprechen wir uns davon. Gut 1200 Kilometer Luftlinie trennen uns von unserem Zielort im Osten der Türkei, in dem wir das Auto abgeben werden und von wo aus wir weiter in den Iran reisen möchten. Aber bis es soweit ist, werden noch viele Tage vergehen und viele Stopps gemacht werden…
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