Eine Kurzgeschichte aus Isfahan
Unsere vorletzte Station im Iran ist die sagenumwobene Stadt Isfahan. Unzählige Male haben wir in den vergangenen Wochen bereits gehört, dass Isfahan das absolute Highlight einer jeden Iran-Reise sei. Einheimische wie Touristen erzählten uns gleichermaßen begeistert von dem Ort, den man besser gegen Ende der Reise besuchen sollte, da sonst alles Nachfolgende weniger spektakulär erscheint. Unsere Erwartungen sind entsprechend hoch: ganze fünf Tage haben wir für unseren Besuch hier eingeplant.
Den ersten Tag beginnen wir mit einem gemütlichen Frühstück. Anschließend kümmern wir uns um organisatorische Dinge wie Wäsche waschen, Geld wechseln und überfällige E-Mail-Korrespondenz. Als am späten Nachmittag die Temperaturen langsam erträglicher werden, sind wir bereit für einen ersten Ausflug in die Stadt. Unser Ziel ist der Naqsh-e Jahan Square, der größte und eindrucksvollste Platz in Isfahan.
Auf dem Weg dorthin entdecken wir zufällig die sehr schönen Hakim-Moschee, bei der wir in diesem Moment fast alleine sind. Und auch am größten Teppich-Basar Isfahans machen wir Halt. Im Angebot gibt es handgeknüpfte Perserteppiche in allen erdenklichen Farben, Mustern und Größen. Beeindruckt schlendern wir von einem Schaufenster zum nächsten. Freundliche Ladenbesitzer versuchen, uns in ihr Geschäft zu locken. Doch obwohl die Teppiche allesamt wirklich schön sind, müssen wir das Angebot leider ablehnen – so groß sind unsere Rucksäcke dann zum Glück doch nicht 🙂
Wenige Meter nach dem Basar biegen wir um eine Ecke und erkennen am Ende des Weges bereits den anvisierten Naqsh-e Jahan Platz im Abendlicht. Ich bin gespannt, was uns erwartet und freue mich darauf, die guten Lichtverhältnisse für ein paar Aufnahmen mit unserer Kamera zu nutzen. Als wir den Platz beinahe erreicht haben, ruft uns ein Mann mittleren Alters im Vorbeilaufen zu: „Are you from Germany?“. Ich frage mich, wie er das wohl so schnell erkannt hat und erwidere höflich: „Yes, we are!“. Auf dem Gesicht des Mannes macht sich ein begeistertes Lächeln breit, das mich spontan an „Bob, den Flaschengeist“, eine japanische Anime-Serie, erinnert.
Der freundliche Herr begrüßt uns begeistert mit einigen auswendig gelernten Sätzen auf Deutsch: „Guten Tag!“. „Wie geht es Ihnen?“. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen!“. In Erwartung des üblichen Smalltalks mit Zufallsbekanntschaften bleiben wir stehen. Wir erfahren, dass der Herr auf dem Nachhauseweg zu seiner Familie ist. Ganz in der Nähe befindet sich demnach das Geschäft, in dem er bis gerade eben gearbeitet hat. Sein Vater, der Besitzer des Ladens, ist augenscheinlich ein berühmter Mann: Er hat es mit seinen Tischdecken, die er nach traditioneller Handwerkskunst mit Holzstempeln und Naturfarben bedruckt, bis in unseren Reiseführer geschafft. „Have a look on page 223!“, sagt uns der freundliche Herr, der offensichtlich ein talentierter Redner ist. Und tatsächlich finden wir auf der angegebenen Seite einen kurzen Absatz über das Familiengeschäft.
Aufgeregt drückt er anschließend auf seinem Handy herum und streckt es uns wenige Sekunden später freudestrahlend entgegen. Auf dem Display erkenne ich ein leicht unscharfes Bild eines Mannes, der mir vage bekannt vorkommt. Moment, das ist doch der Typ aus dem Tatort! Wie heißt der nochmal? Mmh…, keine Ahnung, ich bin ehrlich gesagt nicht so der Tatort-Experte. Doch die Auflösung kommt sogleich: Vor einem Monat hat Jan Josef Liefers den Laden des Herrn besucht! Als ich den Namen höre, klingelt es dann doch bei mir 😉 Und auch mit Sigmar Gabriel hatte er angeblich die Ehre. Na dann…
Da Leo ohnehin auf der Suche nach einem Hochzeitsgeschenk für eine gute Freundin ist, zeigt sie Interesse und fragt genauer nach, wie und unter welchen Bedingungen die Tischdecken bedruckt werden. Eine Steilvorlage für den Verkäufer. Wenn es uns so sehr interessiert, begleitet er uns gerne zurück in seinen Laden. Dort will er uns die alte Handwerkskunst live vorführen. „But only if you have time!“, betont er. Und weiter: „You are not a customer, I want to show you my culture!“.
So führt er uns quer über den Naqsh-e Jahan Platz, unserem eigentlichen Ziel, zu seinem Geschäft, welches in einem kleinen, schönen Innenhof gelegen ist. Auf dem Platz möchte ich am liebste stehen bleiben, denn die eindrucksvollen Gebäude sind zu dieser Tageszeit ins beste Foto-Licht getaucht. Doch als ich mich umdrehe, ist der Herr bereits gut zehn Meter weiter vorne und ich muss mich beeilen, um ihn und Leo zwischen den vielen Menschen nicht zu verlieren.
Im Laden angekommen sehen wir dann endlich, worum es hier eigentlich geht: Sein Bruder demonstriert uns an einem vorbereiteten Arbeitsplatz, wie die Tischdecken bedruckt werden. Es ist in der Tat sehr interessant und wir bekommen alle Fragen zu Stoffen, Farben und dem Herstellungsprozess beantwortet. Hinter dem Arbeitsplatz sehen wir diverse Fotos von Politikern und sonstigen Berühmtheiten, die das Geschäft in der Vergangenheit besucht haben. Gelogen hat der Verkäufer schon mal nicht.
Nach der Präsentation führt uns der Verkäufer in das ein Stockwerk höher gelegene Atelier. Hier arbeitet normalerweise sein Vater, der heute jedoch bereits nach Hause gegangen ist. In großen Regalen lagern hunderte Tischdecken in den verschiedensten Farben und Größen. Leo beschreibt den Esstisch ihrer Freundin, für den ein Tischtuch in Frage käme. Der nette Herr, der ja eigentlich vorhin schon Feierabend hatte, stellt uns in aller Ausfühlichkeit sein Sortiment vor. Und tatsächlich finden wir dabei ein besonders schönes Exemplar; sogar die Größe sollte für den Tisch passend sein.
Als sich Leo nach dem Preis erkundigt, schaut uns der Verkäufer entsetzt an: „You are not a customer, I want to show you my culture!“. Schön und gut, denken wir uns, aber falls wir die Tischdecke haben wollen, müssen wir ihm ja wohl Geld dafür geben, oder? Nach zwei erneuten Versuchen, den Preis zu erfragen, gibt er uns schließlich Auskunft. Dabei betont er, dass es ein absoluter Sonderpreis für uns sei. Normalerweise wären die Decken deutlich teurer. Doch da wir alleine und nicht mit einer Reisegruppe (bei der er dem Guide Provision bezahlen muss) den Weg zu ihm gefunden haben, bekommen wir es billiger.
Nachdem er erneut die Bio-Naturfarben und die faire Entlohnung der Arbeiterinnen beschrieben hat, kommt das Geschäft zustande. Leo kauft, neben dem Hochzeitsgeschenk, gleich noch eine Tischdecke für uns, die wir Mahbod, unserem Bekannten in Teheran, mit nach Deutschland geben wollen. Da wir angeblich den Spitzen-Sonderrabatt erhalten haben, trauen wir uns gar nicht, zu handeln. Trotzdem freuen wir uns, so spontan ein so gutes Geschäft gemacht zu haben. Zwei tolle Tischtücher in leuchtenden (Natur-)Farben und dazu unter fairen Bedingungen gefertigt!
Als wir zwei Tage später in einem kleinen Restaurant unweit des Tischdecken-Ladens zu Mittag essen, müssen wir noch einmal an den lustigen Verkäufer denken… Moment mal, da vorne ist er doch! Wir sehen, wie sich der Verkäufer mit einem älteren Ehepaar im Schlepptau durch die Menschenmenge schiebt. Er ist so mit seinen Begleitern beschäftigt, dass er uns gar nicht bemerkt. Gerade, als die Drei an unserem Tisch vorbei gehen, hören wir ihn sagen: „You are not a customer, I want to show you my culture!“ Mmh, das kennen wir doch irgendwoher… Ob wir wirklich so ein gutes Geschäft gemacht haben? Einen Sonderpreis haben wir wohl eher nicht erhalten. Den hätte allenfalls der gewiefte Verkäufer verdient und zwar in der Kategorie „Herausragende schauspielerische Leistung“… 🙂
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Hallo
fein von Euch zu lesen und zu sehen. auch wenn Ihr doch schon ganz weit woanders seid.
Hi Hanno, freut uns auch, von dir zu lesen 🙂 Du wirst wahrscheinlich den Sommer in Augsburg genießen? Liebe Grüße!
Hallo,
ich bin auf Euren Blog gestoßen und musste sehr lachen, da wir im Oktober in Isfahan waren und in exakt demselben Laden gelandet sind. Wir wurden allerdings vom Vater aufgegabelt und der angepriesene Promi war Gerhard Schröder. Wir haben nichts gekauft, wurden aber trotzdem sehr freundlich behandelt.
LG Isi
Hallo Isi,
das ist ja ein lustiger Zufall 😀 Danke dass Du uns geschrieben hast! Gerade haben wir auch nochmal nachgelesen und die Fotos angeschaut. Isfahan hat uns gut gefallen und Euch anscheinend auch!
Liebe Grüße, mittlerweile aus Nepal,
Sebastian
Ja, es war wirklich sehr beeindruckend!
Bin gespannt mehr von Pakistan zu lesen, da es für mich im April dorthin geht.
Eine gute Zeit und weiterhin tolle Erlebnisse!
Pakistan ist super, da kannst Du Dich drauf freuen 🙂 Der erste Bericht dazu ist bereits in der Mache, dauert aber noch ein paar Tage.
Liebe Grüße!
Hallo,ich bin gerade auf eure Berichte gestoßen. Sehr sympathisch! Und ehrlich objektiv scheint es mir. Wir möchten mit unseren Kindern(13J,14J) im Juli nach Iran fliegen. Gerne möchten wir auch bei Privatpersonen übernachten. Mich hat es sehr überrascht, dass es überall nur 5 Sterne/Herzen Bewertungen gibt…Ich dachte dabei,dass ist ja klar bei der weltbekannten Freundlichkeit der Perser….mein positives Vorurteil. Aber euer Bericht war erschütternd. Es tut mir sehr Leid!Uns interessieren zwei Sachen:Wo habt ihr eure Unterkunft gebucht? Womit seid ihr zwischen den Städten gefahren?Herzliche Grüße-Judit aus Ungarn
Hallo Judit,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Wie cool, dass ihr in den Iran geflogen seid! Hoffentlich hat es euch dort genauso gut gefallen wie uns 🙂 Unsere Unterkünfte haben wir meist vor Ort per Telefon reserviert oder sind einfach dorthin gegangen und haben nach einem freien Zimmer gefragt. Zwischen den Städten sind wir mit dem Bus oder per Zug gefahren.
Liebe Grüße und noch einen schönen Sommer, Sebastian