Vorwort
Da wir in diesem Bericht eine Situation beschreiben, in der wir ausnahmsweise mal keine Fotos gemacht haben, findet ihr fast alle Bilder am Ende der Geschichte (also gaaanz unten 🙂 ).
Grenzerfahrung bei Buchara
„Open everything!“, habe ich noch den befehlenden Ton der resoluten Grenzbeamtin im Ohr. Doch zum Glück ist die Ausreise aus Turkmenistan nun geschafft. Nach einem langen Tag warten jetzt nur noch die Einreiseformalitäten für Usbekistan auf uns. In der Hoffnung auf eine zügige Abfertigung lege ich meinen Rucksack auf das Förderband des Gepäckscanners. Ein uniformierter Herr, dessen Schirmmütze den Aufdruck „Customs“ trägt, lächelt uns freundlich an. „Where are you from?“, fragt er uns. „How long are you going to stay in Uzbekistan?“, fügt seine ebenfalls nett wirkende Kollegin hinzu.
Als wir den beiden antworten, dass wir planen, einen ganzen Monat in Usbekistan zu verbringen, sind sie begeistert. „You have to visit Buchara….and Chiva….and Samarkand!“ Am späten Nachmittag sind wir zusammen mit Nicolás, unserer Reisebekanntschaft aus Turkmenistan, die Einzigen, die die Grenze passieren wollen, und so freuen sich die Beamten über diese willkommene Abwechslung. Während sie unser Gepäck oberflächlich prüfen, unterhalten wir uns mit ihnen und bekommen noch einige Tipps für unseren Aufenthalt. Da wir wissen, dass es von der Grenze bis zu unserem Ziel Buchara keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, fragen wir am Ende noch nach dem Preis für ein Taxi: „Usually it’s 10 $ per car, but for tourists it might be around 15 $.“
Wenige Minuten später verlasse wir das Grenzgelände und sind angekommen in Usbekistan! In gut 50 Metern Entfernung sehen wir einen Parkplatz, der bis auf eine Handvoll Autos leer ist. Wer soll auch schon zu diesem abgelegenen Ort kommen, wenn er nicht gerade nach Turkmenistan reist? Am Parkplatz vorbei führt die Straße zum rund 100 Kilometer entfernten Buchara. Wir machen uns auf in Richtung Taxi, dass wir vor einem kleinen Haus – dem einzigen weit und breit – stehen sehen. Schon hat man uns erblickt und (wie könnte es mit den großen Reiserucksäcken anders sein?) als Touristen identifiziert. Ein Mann, der mich von Aussehen und Größe an den Schauspieler Martin Semmelrogge erinnert, kommt uns freudestrahlend entgegen. Er begrüßt uns mit Handschlag und fragt: „Do you need a taxi?“
Schon will er uns das Gepäck abnehmen und in den Kofferraum seines bereitstehenden Fahrzeugs laden. Doch erst einmal wollen wir wissen, was die Fahrt kosten soll. „Don’t worry, we can talk about the price later!“, antwortet er uns mit einem Grinsen im Gesicht. Obwohl die Versuchung groß ist, nach einem langen und heißen Tag einfach einzusteigen und loszufahren, erinnern wir uns, dass wir mit dieser Art der Preisverhandlung auf unserer Reise schon schlechte Erfahrungen gemacht haben. Daher bleiben wir hartnäckig und bestehen darauf, den Preis vor Abfahrt zu erfahren. Der freundliche Herr setzt sein breitestes Honigkuchenlächeln auf: „The normal price is 90 $. But I will give you a special price: 80 $!“
Wie bitte, 80 $?? Entsetzt schauen wir den Fahrer an. Wir geben ihm zu verstehen, dass wir wissen, dass der offizielle Preis 10 $ beträgt und wir auch nicht bereit sind, mehr zu bezahlen. Nun gibt sich „Herr Semmelrogge“ seinerseits empört und erklärt, dass 10 $ auf keinen Fall der offizielle Preis sei: „80 $ is the normal price!“
So viel für das Taxi zu bezahlen, kommt für uns nicht in Frage. Kurzerhand schnappen wir uns unsere Rucksäcke und tragen sie in Richtung des kleinen Häuschens, an dem es zumindest ein bisschen Schatten gibt. Trotz vorgerückter Stunde – mittlerweile ist es 17:30 Uhr – brennt die Sonne noch immer erbarmungslos vom Himmel. Während wir uns der Reihe nach auf einem an Schmutz und Fliegen nicht zu überbietenden Plumpsklo erleichtern, gesellt sich der Taxifahrer erneut zu uns. Mit dabei hat er ein neues Angebot: Für nun nur noch 70 $ will er uns nach Buchara bringen. Für uns nach wie vor inakzeptabel.
Nach einigem Hin und Her und in der Hoffnung auf eine preisliche Annäherung sagen wir, dass wir bereit sind, 15 $ für die Fahrt zu bezahlen – mehr aber nicht! Der Fahrer gibt sich ob unseres verbesserten Angebots neuerlich geschockt: „Yesterday I drove tourists for 60 $. I cannot do less than that!“ Immerhin geht es in die richtige Richtung, denken wir uns.
Doch in der Folge bleibt der Fahrer stur. Daher beschließen wir, in der Umgebung nach alternativen Transportmöglichkeiten zu suchen. Aufgrund der Abgeschiedenheit der Grenze ein schwieriges Unterfangen. Als erstes versuchen wir es im kleinen Laden, der Snacks, Getränke und Fastfood für die wenigen Reisenden im Sortiment hat. Wir fragen, welche Möglichkeiten es gibt, nach Buchara zu gelangen und wie viel ein Taxi dorthin kosten würde. Leider bemerkt unser Fahrer gleich, worauf wir hinaus wollen und ruft dem Besitzer des Ladens etwas auf usbekisch zu. Da sich die beiden Männer offensichtlich gut kennen, erreichen wir hier nichts.
Zurück auf dem Parkplatz bemerken wir, dass in einiger Entfernung mittlerweile ein neues Taxi parkt. Schon machen wir uns auf den Weg dorthin, um ein zweites Angebot für unseren Transport einzuholen. Doch natürlich haben wir wieder den Fahrer im Schlepptau, der seinen Kollegen „gebrieft“ hat, bevor wir überhaupt mit ihm sprechen können. Gleicher Preis, 60 $. Stecken hier denn alle unter einer Decke?
Inzwischen ist der Fahrer von der sich in die Länge ziehenden Verhandlung – mittlerweile ist es bereits nach 18:00 Uhr – sichtlich genervt. Auch gut, denken wir uns, vielleicht kommt er uns dann endlich weiter entgegen. Doch bevor es so weit ist, erklärt er uns noch, dass der Fahrer des zweiten Taxis zu Hause Frau und Kinder hat und auf eine faire Bezahlung angewiesen ist. Nun versucht er es also auf der emotionalen Ebene. Eine gute Taktik, die uns dazu bewegt, unser Angebot auf 18 $ zu erhöhen. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Der Herr mit Frau und Kind ist später überhaupt nicht unser Fahrer und nach Buchara fährt er heute sowieso nicht mehr…
Immerhin kommen wir durch unser verbessertes Angebot einen Schritt weiter. 50 $ stehen im Raum. Doch noch immer ist der Abstand der beiden Angebote zu groß, als dass eine schnelle Einigung in Sicht wäre. Nun versucht es der Fahrer mit Mathematik: 1 Liter Benzin kostet in Usbekistan 1 $. Sein Auto verbraucht 10 Liter pro 100 Kilometer. Wenn er uns also nach Buchara fährt und danach wieder zurück kommt, kostet ihn allein der Sprit schon 20 $! Wenn wir nur 18 $ bezahlen, würde er ein Minusgeschäft machen.
Wir haben keine Ahnung, was der Sprit in Usbekistan kostet. Aber dass ein Liter hier einen Dollar kosten soll, können wir uns in Kenntnis der Benzinpreise in den zuletzt besuchten Ländern kaum vorstellen. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen:
- In Usbekistan kostet Benzin nach dem offiziellen Wechselkurs gerechnet tatsächlich ca. 1 $. Doch da es in Usbekistan einen halboffiziellen Schwarzmarkt für Devisen gibt, dessen Wechselkurs um 100% über der offiziellen Rate liegt, bekommt man den Liter für umgerechnet 50 $-Cent.
- In Usbekistan fährt so gut wie niemand mit Benzin. Fast alle Autos (die beiden Taxis eingeschlossen) sind umgerüstet und tanken ausschließlich Methan- bzw. Propangas. Und das ist hier wesentlich günstiger als Benzin.
Die Berechnung des Fahrers scheint, sofern man seinen Preisangaben glaubt, plausibel, doch da wir von den Grenzbeamten wissen, dass der Transport ja eigentlich 10 $ kosten sollte, bleiben wir bei unserem (im Vergleich dazu guten) Angebot von 18 $. Der Fahrer wirkt zunehmend ungeduldig und schaut auf seine Uhr. Er will, dass es endlich los geht. 40 $ sind daher sein nächstes Angebot.
Als wir gerade darüber nachdenken, ob wir nicht einfach im Zelt übernachten sollen (hätten wir wohl an diesem unwirtlichen Ort nicht wirklich gemacht), sehen wir, wie ein großer LKW aus dem Grenzbereich gerollt kommt. Na klar, der kann uns doch mitnehmen! Schon laufe ich vor zur Straße und winke dem LKW-Fahrer zu. Und tatsächlich, er hält! Ein freundlicher Herr mit Dreitagebart kurbelt das Fenster hinunter. Nachdem ich mein Anliegen auf Russisch übermittelt habe, erklärt er mir, dass es in Usbekistan für LKWs streng verboten ist, Anhalter mitzunehmen. Daher könne er uns leider nicht helfen. Schade…
Als ich wieder zu Leo und Nicolás stoße, erfahre ich von den beiden, dass sie dem Fahrer ein neues Angebot entlocken konnten: 30 $. Wir befinden uns auf der Zielgeraden! 🙂 Weitere zehn Minuten feilschen wir mit dem Fahrer und Dollar für Dollar kommen wir uns näher. Bei 23 $ schlägt er schließlich ein. Beide Seiten wirken erschöpft, aber dennoch haben wir das Gefühl, dass alle mit dem Ergebnis zufrieden sind. Geschafft!
Nachdem wir das Gepäck verladen haben, geht es endlich los. Der Fahrer ist bester Laune und wir unterhalten uns über unsere Reise und Orte in Usbekistan, die es zu besuchen lohnt. Nach 15 Kilometern Fahrt heißt es plötzlich: Fahrzeugwechsel! Für den Fahrer ist der Arbeitstag zu Ende; hier ist sein Zuhause und nun hat er endlich Feierabend. Wir werden gebeten, in einen anderen Wagen umzusteigen, der bereits auf uns gewartet hat. Am Steuer sitzt ein ca. 20-jährger Usbeke, der sein Fahrzeug, das bei uns wohl nicht mehr durch den TÜV kommen würde, als Formel-1-Auto versteht. Da wir uns bei seinen waghalsigen Überholmanövern alles andere als sicher fühlen und es zudem auf der Rücksitzbank keine Sicherheitsgurte gibt, fordern wir ihn wiederholt auf, langsamer zu fahren. Irgendwann hört er tatsächlich auf uns und wir können die Fahrt endlich genießen.
Auf halber Strecke sehen wir auf einmal zwei Radfahrer, die ebenfalls in Richtung Buchara unterwegs sind. Moment, das sind doch Jogesh und Ichiro, die wir schon aus Turkmenistan kennen! Kurzentschlossen bitten wir unseren Fahrer, einen Stopp einzulegen. Da er zum Glück ebenfalls neugierig ist, gibt er unserer Bitte nach. In einem kurzen Plausch mit den beiden erfahren wir, dass sie bereits seit 6 Uhr morgens unterwegs sind und schon 120 Kilometer Fahrt in den Beinen haben. Hut ab vor dieser Leistung bei fast 40 °C! Schließlich setzen wir unsere Fahrt fort und kommen eine gute halbe Stunde später wohlbehalten in Buchara an.
Unsere „Grenzerfahrung“ bei Buchara hat uns wieder einmal gezeigt, dass man beim Reisen ohne eigenes Fortbewegungsmittel an entlegenen Orten auf andere Menschen und deren Angebote angewiesen sein kann. Auch wenn wir es uns in den meisten Fällen leisten könnten und es mit Sicherheit die bequemere Variante wäre, fühlt es sich für uns nicht gut an, für eine Leistung einen vielfach höheren Preis als den regulären zu bezahlen. Daher üben wir uns im Verhandeln, auch wenn wir nicht in jedem Fall Erfolg damit haben. Oft kostet es Nerven und Zeit, aber es ist auch immer spannend und wir freuen uns, wenn es am Ende geklappt hat. Dabei ist uns wichtig, dass die Gesprächsatmosphäre entspannt und respektvoll bleibt.
Deshalb versuchen wir, die Perspektive unserer Gegenüber einzunehmen und abzuschätzen, was zu den jeweiligen Bedingungen ein fairer Preis wäre. So verzichten wir meist bei von Familien geführten Gästehäusern darauf, den Preis zu verhandeln und haben auch schon mehr als den ausgemachten Betrag bezahlt, wenn wir uns dort besonders wohl fühlten. Auf jeden Fall haben wir in den letzten Wochen bereits viel über Verhandlungen gelernt und sind gespannt, welche Herausforderungen dieser Art noch auf uns warten werden 🙂
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Schöne Fotos!
Danke, Norbert! 🙂
Oje!!
Ich hasse handeln! Das werden wir wohl lernen müssen!!! 🙂
Keine Sorge, das werdet ihr bestimmt schnell drauf haben 😉 Nicht immer war es so hart und zeitaufwendig, wie in diesem Bericht.
Liebe Grüße zu euch beiden!
Als Westeuropäer mit armen Taxifahrern handeln? Das ist schon an der Grenze zum Sozialdarwinismus…
Hallo Vincent,
wie sind gerne bereit, in weniger wohlhabenden Ländern ein bisschen mehr zu bezahlen als die Einheimischen. Aber abzocken lassen wollen wir uns nicht.
Viele Grüße
Sebastian