Vier Wochen auf dem Pamir Highway – Teil 1
Es sind 30 Grad und die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Obwohl ich schon jetzt schwitze, lasse ich mich langsam in das heiße Wasser gleiten. „Hot Springs im Sommer sind doch ein Quatsch“, geht es mir durch den Kopf. Das Wasser hat gut 40 Grad, in der brennenden Sonne halte ich es kaum aus. Langsam wate ich durch das Becken in Richtung der kleinen Schattenecke, in der noch weitere Frauen stehen und sich unterhalten. Wir alle sind nackt. Es ist ein himmelweiter Unterschied zu denen in der Öffentlichkeit so eingepackten Menschen, die sich vor Sonne und Staub schützen. Hier, in den heißen Quellen von Garm Chashma, was übersetzt passenderweise „heißes Wasser“ heißt, sind die Frauen mit einer bemerkenswerten Gelassenheit nackt. Keine versteckt sich, keine springt ganz schnell ins Wasser, um nicht gesehen zu werden. Die Frauen, von sehr jung bis sehr alt, stehen beisammen, unterhalten sich oder reiben sich mit weißem Schlamm ein, den sie vom Bassin-Boden hochgeholt haben.
Langsam habe ich mich an die Temperaturen gewöhnt und kann beginnen, den Besuch in dieser heißen Quelle zu genießen. Meine Gedanken schweifen ab zu unserer Reise auf dem Pamir Highway.
Heute ist unser elfter Tag „on the road“ und wir haben die erste große Etappe schon geschafft. Von Duschanbe aus fuhren wir einen großen Schlenker Richtung Süden nach Kulob, bogen dann aber nach Osten, Richtung Panj-Fluss ab, den wir kurz vor Khirmanjo erreichten. Der kürzere Weg war wegen eines Brückenzusammenbruchs gesperrt, sodass wir uns für diese Route entschieden hatten.
Tagelang folgten wir nun den Windungen des wilden, aber schmalen Grenzflusses zu Afghanistan. Dieses schien nur eine Handbreit von uns entfernt zu sein und des Öfteren ertappten wir uns, viel mehr nach Afghanistan als auf das vor uns liegende Tadschikistan zu blicken. Ständig ging unser Blick nach rechts durch das Fenster, über den Fluss hinweg. Dort sahen wir kleine Orte, Felder, Tiere, Motorräder, Schulkinder auf dem Heimweg, Straßenbauarbeiter bei wohl einem der gefährlichsten Arbeitsplätze der Welt – dem Sprengen einer neuen Straßentrasse direkt in den Fels oberhalb des wilden Flusses. Ohne Sicherung, dafür mit schwerem Gerät. Ab und an war ein Wink-Kontakt auf die andere Seite des Flusses möglich. „Kommt zu uns rüber geschwommen“, bedeuteten uns die afghanischen Kinder mit ihrer Gestik. Wir trauten uns nicht.
Doch auch auf tadschikischer Seite war Einiges zu sehen: wilde Flusstäler spazierten wir entlang, bei einer Familie durften wir spontan im Garten unser Zelt aufschlagen und wurden herzlich zum Iftar, dem abendlichen Fastenbrechen im Ramadan, eingeladen. Mit uns schienen alle Männer des Dorfes auf den unter den Bäumen stehenden Tapchans, großen gepolsterten Bettgestellen, versammelt zu sein. Es herrschte eine andächtige und festliche Atmosphäre. Leider holte mich am nächsten Morgen meine erste richtige Krankheit dieser Reise ein – Übergeben, Durchfall und Fieber. Es dauerte vier Tage, bis ich mich wieder erholt hatte.
Spektakuläre Straßenabschnitte hielten uns in Atem. Aufgrund eines Steinrutschs war die einzige Straße an einem Tag plötzlich gesperrt – es blieb uns nichts anderes übrig, als eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen und es am nächsten Tag erneut zu probieren. Es gab Tagesetappen, an denen wir nur mit 20 km/h vorankamen und an denen ich nicht drei Sekunden ruhig auf meinem Platz sitzen konnte. Hoch und runter, vor und zurück, ständig in Bewegung waren wir auf den Sitzen des roten Vans.
Wir stoppten in der Provinzhauptstadt Khorog; ein kleiner Schock nach so vielen winzigen Orten am Straßenrand. Hier gab es Restaurants, sogar ein indisches, ein großes Krankenhaus, Geschäfte, Cafés und viele andere Reisende! Khorog war unsere Informationsbörse des Pamir Highways und kein Gespräch begann ohne „Wo kommt ihr her, wo fahrt ihr hin?“ und das Austauschen von netten Homestay-Adressen, Informationen zur Straßensituation und Stopps, die man unbedingt einlegen sollte. In Khorog trafen wir Reisende, die wir vorab schon auf der Straße getroffen hatten, ein zweites oder sogar drittes Mal. Es war ein großes Dorf, in dem es nett war, in dem es irgendwann aber auch wieder reichte.
Es ging zurück auf die Straße, zurück auf die Holperpisten. Zurück zu den Homestays bei Familien, die uns ein Zimmer mit Matratzenlager vermieteten, zurück zur Shorba, der im ganzen Land verbreiteten klaren Brühe mit Fleisch und etwas Kartoffel- und Karotteneinlage, die es fast täglich zu essen gab. Und zurück zum Panj, dem sich windenden Wildfluss und unseren Ausblicken auf den Nachbarn Afghanistan.
Eine der Frauen bewegt sich durch das Wasser langsam auf mich zu, sie lächelt mich an. „Kak tebjá savut?“ fragt sie mich auf Russisch. „Menjá savut Leo“, antworte ich ihr. Sie fragt weiter, ich kann nur das Wort „let“ erkennen – Alter. „Trizet-dwa“ kann ich ihr antworten. „Musch?“ ist das nächste Wort, das ich erkenne – „da“, ja, einen Mann gibt es. Sie lächelt und macht eine Geste, die nach „und wo ist er?“ aussieht. Ich zeige mit meiner Hand in Richtung der sich in einem kleinen Häuschen befindenden Pools – dem Männerbereich im aktuellen Zeitfenster. „Dieti jest?“ fragt sie weiter, „Habt ihr Kinder?“. Ich muss lächeln. Ein Paar ohne Kinder scheint hier undenkbar zu sein, eine bewusste Entscheidung gegen Kinder scheint es einfach nicht zu geben. Wie es hier wohl für Paare ist, die einfach keine Kinder bekommen können? Als Antwort auf ihre Frage schüttele ich den Kopf. „But ‚inshallah‘ in the future!“ – wir müssen beide lachen. Sie selbst hat bereits eine Tochter, gut für sie.
Sie zieht mich zu einer kleinen Höhle in der riesigen Kalkwand, die zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist. Mir fällt ein Absatz aus dem Reiseführer ein, der Reisende warnt, sich in das Becken zu zwängen. Für kleine und schlanke Tadschikinnen sei der Ein- und Ausstieg in das Becken problemlos zu schaffen, es hätte aber schon die ein oder andere Mitteleuropäerin gegeben, die drin stecken geblieben wäre. Fruchtbarkeitsbecken hin oder her – auch mit gutem Zureden meiner neuen Freundin lasse ich mich in das Becken nicht hineinschieben. Inshallah – so Gott will – das mit den Kindern wird schon klappen, wenn es sein soll.
Plötzlich kommt Bewegung in die nackten Damen im heißen Wasser, fast alle streben in Richtung Beckenrand und in Richtung der Umkleideverschläge. Ich denke mir nichts dabei, folge ihnen aber, es reicht mit heißer Quelle für heute. Auf einmal sind sie wieder da, die Frauen, die ich von der Straße kenne, in bunter Kleidung, Kopftüchern, teils Tüchern vor dem Mund und so eingepackt, als hätte es 15 Grad weniger. „Warum habt ihr so viel an?“, frage ich mit Händen und Füßen. „Sonne und Staub“, sind ihre Antworten, bevor wir gemeinsam den Badebereich verlassen. Das Zeitfenster der Frauen im Naturpool ist um.
Außerhalb der Quelle warten bereits Sebastian und Thomas auf mich, die Pech hatten und während unserer Besuchszeit im weniger schönen überdachten und künstlichen Bereich baden mussten. Wenige Minuten später sind wir zurück auf der staubigen und holprigen Straße, weiter entlang dem Panj in Richtung Ishkashim, dem südlichsten Punkt des Pamir Highways, wo wir heute Abend übernachten wollen…
Wie es für uns auf dem Pamir Highway weitergeht, erfährst du in Teil 2 – Die Luft nach oben wird dünner.
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Hallo Leo und Sebastian, die Berichte über eure Reise sind so spannend; ich hab‘ aber etwas Zeit gebraucht um zu begreifen, dass die Blogs etwas versetzt kommen 😉
Eure Fotos begeistern mich sehr; Schärfe und Farbentiefe und Motive sind super. Ich reise und fotografiere auch viel und gerne – aber nur mit einer kleinen Kompaktkamera. Deine Fotos motivieren mich dazu, mich mal um eine ordentliche Ausrüstung zu kümmern.
Ich wünsche euch eine tolle Weiterreise und freue mich auf die nächsten Blogs.
VlG Maresa
Hallo Maresa,
vielen Dank für Deinen Kommentar über den wir uns sehr freuen! Es ist immer schön, eine Rückmeldung zu unseren Berichten und Fotos zu bekommen und wenn es Dir gefällt, um so besser 🙂 Die Berichte würden wir gerne noch zeitnäher posten, das ist jedoch nicht immer so einfach. Zum einen stecken in jedem Bericht mehrere Stunden Arbeit und dann erleben wir auch jeden Tag so viel Neues, dass wir leider (oder zum Glück?) oft gar nicht dazu kommen, neue Artikel zu schreiben. Aber wir geben uns Mühe! 🙂
Bezüglich Fotos hatten wir auch zunächst überlegt, ob eine Kompaktkamera nicht besser wäre. Letztlich sind wir aber über unsere Systemkamera sehr froh; bei den guten Ergebnissen macht das Fotografieren gleich doppelt so viel Spaß!
Viele liebe Grüße aus Kasachstan,
Sebastian & Leo
Hallo ihr beiden, mit Eurer Reise entdecke ich ganz neue Ecken dieser Welt :), die mich total neugierig machen. In Gedanken bereite ich auch schon mal die Reise vor … und versuche, meinen Mann zu begeistern (wir können aber erst in ein paar Jahren, aber ich bin hartnäckig ;-). Eure Art des Reisens … einfach über Land, ohne eigenes Fahrzeug finde ich bewundernswert und mutig. Aber es ist bestimmt die beste Art, Land und Leute kennen zu lernen. Wir fahren mit Wohnmobil … da ist man (in diesem Fall leider … )unabhängiger,
Bestimmt hängt an so einem tollen Blog einiges an Arbeit. Dass es überhaupt möglich ist, aus den hintersten Ecken der Welt live zu berichten, ist sowieso phantastisch und wäre vor wenigen Jahren sowieso unmöglich gewesen.
Genießt Eure Reise … und vielen Dank, dass man virtuell teilnehmen darf.
Viele Grüße aus dem regnerischen Oberbayern.
Maresa
Hallo Maresa,
von vielen Ländern hatten wir vor der Reise selbst kaum eine Vorstellung. Zum Glück haben uns bisher fast alle sehr positiv überrascht. Speziell von Zentralasien hatten wir in den deutschen Medien nur selten gehört. Wir drücken Dir die Daumen, dass Du Deinen Mann noch überzeugen kannst! Im Zweifelsfall kannst Du ihm ja mal unseren Blog zeigen 😉
Mit dem Wohnmobil zu reisen, hat natürlich auch seine Vorteile, speziell was die Flexibilität und Unabhängigkeit betrifft. Dafür ist man ohne eigenes Fahrzeug recht oft mit den Einheimischen in Kontakt, z.B. in Bus/Bahn etc. Dabei haben wir schon viel Schönes erlebt.
Liebe Grüße aus dem sonnigen Almaty und noch einen schönen Sonntag!
Sebastian & Leo
Hallo ihr Lieben!
Wir waren jetzt auch im Urlaub, tropische Paradise, schnorcheln, usw.
Was mir gefehlt hat? Tatsächlich das Lesen euren Blogs. Des Öfteren erwischte ich mich bei dem Gedanken wo ihr wohl gerade unterwegs seid und was ihr Tolles erlebt.
Uns hat gestern in Dtl gleich der Regen mit 15Grad empfangen und ich hab kurz drűber nachgedacht einfach nicht auszusteigen. ?
Daher genießt die Hitze, den Staub und die endlosen Weiten! Ich freue mich, jetzt wieder regelmäßig von euch lesen zu können.
Liebste Grűße von den Cityfarmern!
Hallo liebe Ildi und lieber Benni,
was für ein lieber Kommentar von euch!! Dass ihr sogar in eurem Baliurlaub an uns denkt, ehrt uns 😉
Ja, 15 Grad und Regen hören sich wahrlich nicht verlockend an – was für ein Glück, dass wir es uns aktuell bei 28 Grad und Sonne gut gehen lassen können! 🙂 Dem Staub sind wir momentan entkommen, dafür genießen wir eine 19-Stunden-Zugfahrt durch die kasachische Steppe 😉
Liebste Grüße zu euch nach Augsburg!
Was für unglaubliche Lanschaften und erstaunliche Bilder! Jetzt will ich unbedingt nach Tadschikistan 😀 Ihr habt Glück alle diese Orte gesehen zu haben. Ich hoffe euch geht es gut!
Liebe Grüße!
Liebe Hristina,
da hast du Recht – Tadschikistan war auch für uns eine richtig tolle Überraschung! Da solltet ihr unbedingt mal hin! 🙂 Uns geht es sehr gut, wir reisen gerade durch China und sehen jeden Tag Spannendes und für uns Neues! Auch das ist ein sehr spannendes Reiseziel! 🙂
Liebe Grüße von uns beiden!