Eine Woche in Pakistans Hauptstadt Islamabad

Sebastian zeigt einer pakistanischen Familie ein Fotoalbum.

Islamabad

Eine ganze Woche statten wir der Hauptstadt Pakistans einen Besuch ab und erleben intensiv gefüllte Tage. Wo beginne ich einen Bericht über diese ereignisvolle Zeit? An was erinnere ich mich noch, denn zugegeben, unser Aufenthalt ist mittlerweile schon ein paar Wochen her. Wie praktisch, dass mein Tagebuch immer up-to-date ist und ich hier nochmal nachlesen kann.

Islamabad… Es ist eine Woche der Erlebnisse und vielfältigen Eindrücke:

  • Da ist das wunderbare Wochenende mit der gastfreundlichen und herzlichen Familie des Colonels, die uns zu tollen Ausflügen einlädt und mit denen wir von Freitag bis Sonntag eine ganze Reihe von Aktivitäten und Programmpunkten erleben.
  • Da ist die Erkenntnis, dass die Colonels, wie viele Pakistaner, Hausangestellte haben, mit denen sie zwar sehr freundlich umzugehen scheinen, von denen aber zwei meiner Meinung nach eindeutig in die Schule und nicht nur in ihren Haushalt gehören.
  • Da ist der Gegensatz des in Quadraten großzügig angelegten, aufgeräumten Islamabads zu seiner chaotischen, verwinkelten Schwesterstadt Rawalpindi. Ein Blick auf Google Maps stellt die Gegensätze in der Stadtplanung eindrucksvoll dar.
  • Da ist meine Wahrnehmung, dass in Islamabad und Rawalpindi endlich wieder Frauen zum Straßenbild gehören und sie sich sogar auch alleine raus auf die Straßen wagen.
  • Da ist die in Islamabad lebende Almut, die uns spontan zum 6. Geburtstag ihres Sohnes Albert einlädt. Was für ein Zufall, dass die Großeltern ihrer Kinder in Augsburg leben!
  • Da ist die polnische Bäckerei, in der wir für einen Nachmittag ein kleines Paradies finden und in der wir uns durchs leckere Brot- und Backsortiment futtern. „Richtiges“ Brot vermissen wir tatsächlich immer wieder auf dieser Reise…
  • Da ist die Verlängerung unseres pakistanischen Visums, das uns zum ersten Mal überhaupt abläuft, während wir noch im Land sind. Weil wir es im Norden nicht verlängern konnten, müssen auch solche organisatorischen Anliegen hier in der Hauptstadt erledigt werden.
  • Da ist der Besuch der Truck Art Workshops, der Werkstätten, in denen die Lastwagen die für Pakistan so typische und beeindruckende Bemalung und Verschönerung erfahren.
  • Da ist das zufällige Treffen mit Sadaquat, einem Mittzwanziger, der uns so ins Herz schließt, dass es uns eindeutig zu viel wird. „Please, give me a chance“, bittet er uns so eindringlich, dass wir ihm nicht abschlagen können, uns zum Tee einzuladen. Doch ist er im Anschluss ein so aufdringlicher Anrufer und Nachrichtenschreiber, dass wir ihn nach einigen Tagen und Anrufen im Dreiminutenrhythmus tatsächlich blockieren.
  • Da ist der zweimalige Besuch von Pizza Hut (ja, war lecker! 😉 ), bei dem wir von den Kellnern über die Karrierechancen bei McDonalds Deutschland ausgefragt werden und ihre vielen Fragen zu Anschreiben, Lebenslauf und deutschen Bewerbungsunterlagen beantworten müssen.
  • Da sind die winzigen Gassen Rawalpindis und Islamabads, in denen wir Eis-, Knoblauch-, Obst- und Pokalverkäufern bei der Arbeit zuschauen und im Gegensatz dazu die modernen Malls, in denen wir bei Levis oder Bodyshop durch die Auslagen schauen und leckere Kuchen in schicken Cafés essen können.
  • Da ist unser erster direkter Kontakt mit massivem Smog, der uns die Stadt vom Aussichtspunkt fast nicht mehr sehen lässt, so dämpfig und schlecht ist die Luft.

Es bleibt mir das Gefühl, dass wir in nur einer Woche vor Ort wahnsinnig viel erlebt haben! Doch wie so oft sind es vor allem die Begegnungen mit Menschen, die uns ganz besonders im Gedächtnis bleiben…

Drei Männer vor einem Geschäft für Fliflops in Rawalpindi.
So oft wie in Rawalpindi, der Schwesterstadt Islamabads, wurden wir noch nie von Menschen gebeten, ein Foto von ihnen zu machen
Qingqi-Rickshaw in Rawalpindi.
Qingqi-Rickshaws, geteilte Motorradrickshaws, fahren auf festen Routen durch die Stadt

Familienanschluss bei den Colonels

„If you come to Islamabad, don’t forget to give us a call!”, haben wir noch die Worte der Colonels und ihrer Familien im Ohr, als wir sie an unserem ersten Tag in Pakistan, hoch im Norden, treffen. Dieser Tag ist mittlerweile schon einen Monat lang her, ob sie sich wohl überhaupt noch an uns erinnern? Über WhatsApp schreiben wir der Nummer, die wir damals in Passu bekommen haben. Und tatsächlich! Wenige Minuten später lesen wir Qasims Antwort: „Nice to read from you, we have been waiting for you for many days :-).”

Es wird bereits dunkel, als uns der Colonel und sein Sohn Qasim im Pak Guest House abholen. Es war eine Punktlandung, rechtzeitig zurück nach Hause zu kommen, denn unser „schneller Ausflug“ nach Rawalpindi, um dort ein Mitbringsel für unsere Abendessenseinladung zu erstehen, war chaotischer als gedacht. Erst wurden wir von lauter geschlossenen Geschäften überrascht (Freitag!), danach von einem riesen Stau, in dem nichts mehr ging. Zum Glück konnten wir am Ende noch einen leckeren Kuchen auftreiben, um nicht mit leeren Händen dazustehen. Doch statt gemütlich zwei Stündchen früher wieder im Hotel zu sein und vielleicht sogar noch duschen zu können, kommen wir erst zwei Minütchen vor dem Colonel und Qasim an und können nur noch schnell ein paar Sachen im Hotelzimmer ablegen, bevor es nun auch schon losgeht. Falls sie enttäuscht sind, dass wir ohne unser Gepäck kommen, lassen sie sich auf jeden Fall nichts anmerken. Über WhatsApp hatte uns Sohn Qasim eingeladen, mit Sack und Pack in ihr Gästezimmer zu ziehen. Und auch wenn uns dieses Angebot sehr freut, so wollen wir doch auch ein bisschen Privatsphäre und Rückzugsort haben und entschieden uns gegen ihre Einladung und für unser Hotel.

Kochfeld einer Garküche in Rawalpindi.
Zum Mittagessen stoppen wir in einem kleinen Restaurant Rawalpindis
Fladenbrot und ein Rindfleischgericht in Sauce.
Es gibt Rindfleisch in scharfer Sauce und leckeres Brot…
Pakistanische Männer rollen auf dem Boden hockend Teig für Fladenbrote aus.
…das von diesen Männern ganz frisch gebacken wird.

Wie lebt wohl ein Colonel der pakistanischen Armee im Ruhestand? Wir sind positiv überrascht von einem großen, schönen, gepflegten Haus mit Garten und einem Kinderspielplatz auf der anderen Seite eines kleinen Weges. Die Frau des Colonels, „my lady wife“ wie er sie uns gegenüber immer nennt, öffnet uns strahlend die Türe, drei kleine Kinder drücken sich um ihre Beine. „My granddaughter and grandsons“, stellt sie uns die Kleinen vor. Während zwei der drei ängstlich das Weite suchen, ist der Jüngste der Unerschrockenste und lässt sich von uns sonderbar aussehenden Besuchern nicht einschüchtern.

Der Abendessenstisch ist bereits gedeckt und ich freue mich, viele Teller und Gläser zu sehen. Ich hatte vorab bereits überlegt, ob wohl die ganze Familie mit uns essen wird oder nur die Männer. Doch tatsächlich sitzen wir wenig später mit den drei Enkeln, Qasim und den Eltern am Tisch. Auch ihre Tochter Maryam mit dem wenige Wochen alten Baby setzt sich zu uns. Die Stimmung ist entspannt und der neben mir sitzende Abdullah gibt mir ohne Worte, aber mit unmissverständlichen Gesten zu verstehen, dass er noch mehr Hühnchen essen will. Als die Türe aufgeht, bin ich im ersten Moment verwundert, eine komplett verschleierte Frau vor mir stehen zu sehen, die sich auf die andere Seite von Abdullah setzt. In perfektem Englisch stellt sie sich als Hajrah vor, Schwiegertochter des Colonels und Mutter von Abdullah. Wir unterhalten uns gut, sie ist mir direkt sympathisch. Trotzdem ist es komisch, sich länger mit einem Menschen zu unterhalten, von dem ich nur die Augen und sonst nichts sehen kann. Wenn sie lacht, bilden sich kleine Fältchen um die Augen und ihre Stimme verändert sich. Ansonsten kann ich mir ihr Gesicht nur vorstellen.

Sebastian und Leo sitzen mit einer pakistanischen Familie in Islamabad beim Abendessen.
Abendessen bei den Colonels. Es gibt Reis, Hühnchen, Fisch und Gemüse.

Als irgendwann das Essen verputzt und die Teller von einem stillen Jungen weggeräumt sind, klatscht der Colonel in die Hände. „They stay only two days in Islamabad. That gives us not much time to get the most out of it.” Und so wird über unseren Kopf hinweg nun generalstabsmäßig geplant, wie die kommenden zwei Tage verbracht werden können. Gemeinsam berät die Familie, was wohl besser ist: Ein Ausflug in die alte britische Hill Station Murree? Oder doch lieber ein Spaziergang in den Margalla Hills? Ein Besuch der Schah-Faisal-Moschee? Oder doch lieber ins Museum? Irgendwann schauen uns dann doch alle an und wir dürfen ein paar Wünsche äußern. Und so wird der Plan geschmiedet, am nächsten Tag die von den Briten gegründete Hill Station Murree zu besuchen.

Zum Abschied drückt uns die Frau des Colonels einen riesigen Obstkorb in die Hand. „We prepared it for you. For your room. Take it with you.” Es wurde also doch mit unserem Einzug ins Gästezimmer gerechnet. Ein etwas schlechtes Gewissen macht sich in uns breit. Aber so toll die Familie des Colonels auch ist, wir wussten schon vorab, dass sie sich gut um uns kümmern würden. Und das bedeutet in Pakistan: Keine Zeit alleine. So sind wir froh, diese Nacht in unserem eigenen Bett in unserem Hotelzimmer schlafen zu können und den nächsten Tag in Ruhe bei einem einfachen Frühstück zu beginnen.

Zwei Jungen suchen am Ufer eines Flusses im Müll nach Brauchbarem.
Auf der einen Seite Menschen, die im Müll noch Brauchbares suchen…
Rolltreppen in einem Einkaufszentrum in Islamabad.
…auf der anderen Seite moderne Malls, die genau so auch in Deutschland stehen könnten.

Murree – Die erste Golfstunde unseres Lebens

Auf kurvigen Straßen fahren wir immer weiter hinein in die Berge nahe Islamabads, Qasim mit seinem Freund in seinem Kleinwagen entweder vor oder hinter unserem Auto. Dass Qasim noch gar keinen Führerschein hat, ist nicht so wichtig. Doch es sei gut, wenn er in der Nähe seines Vaters fahren würde, der könnte ihn zur Not aus einer Polizeikontrolle herausboxen, verrät er uns später.

Nach zwei Stunden Fahrt kommen wir in Murree an und biegen, wie hätten wir anderes erwarten können, auf den Parkplatz des Golfplatzes des pakistanischen Militärs ab. Neben uns ist auch eine befreundete Familie der Colonels zum Ausflug eingeladen, deren Männer ebenfalls beim Militär arbeiten. Die Frau des Colonels, „my lady wife“, schiebt mich freundlich, aber bestimmt vor sich her und während Sebastian mit den Männern draußen auf der Terrasse des Clubhauses Platz nimmt, setzen wir Frauen uns drinnen an einen schon gedeckten Tisch. Das Essen läuft geschlechtergetrennt ab. Immerhin ist die Tochter des anderen Colonels auch dabei und ich bin überrascht, dass sie ihr Haar als einzige anwesende Frau (neben mir) nicht bedeckt hat. Als sich die Frauen nach dem Essen für ihr Gebet zurückziehen, setze ich mich auf die Terrasse zu den Männern. Als einzige Person ist es mir über den Tag hinweg immer wieder möglich, zwischen den zwei Lagern zu wechseln.

Irgendwann werden wir in Richtung driving range beordert. Ein älterer Herr steht schon mit einer Golftasche bereit und stellt sich als Abdullah, unser Golflehrer, vor. Qasim versucht sein Glück und gleich können wir sehen, dass es nicht das erste Mal für ihn ist, dass er einen Golfschläger in der Hand hält. Uns hingegen muss Abdullah alles ganz von Anfang an erklären und wir machen uns erst mal vor allen Zuschauern zum Affen. Doch der ein oder andere Schlag gelingt und da sonst niemand will, nutzen wir die kommende Stunde die Gelegenheit, unter Abdullahs Aufsicht die Bälle in die Prärie zu schlagen.

Sebastian hat Zuschauer beim Golfabschlag.
Sebastian stellt sich schon ganz gut an
Leo übt golfen mit einem Golflehrer.
Und auch mir erklärt Abdullah geduldig, was ich machen soll
Clubhaus in der pakistanischen Hill Station Murree.
Das schicke Clubhaus
Leo und Sebastian stehen neben pakistanischen Männern.
Erinnerungsfoto mit den Männern

Irgendwann scheint das zeitliche Limit erreicht zu sein, alle packen zusammen und auch wir folgen. Ist der Ausflug beendet? Nein, wir wechseln bloß die Location. Eine kurze Autofahrt später stoppen wir vor einem Campingplatz des Militärs. Hier können wir unser Glück nun im Luftgewehrschießen, im Badminton, beim Bogenschießen oder mit der Steinschleuder versuchen. Auch jetzt haben die Damen der Gesellschaft eine überaus passive Rolle, immerhin dreimal wird ein bisschen der Federball hin- und hergeschlagen, dann ziehen sie sich in eine Art Zelt zum Teetrinken zurück. Doch sind nun Qasim und sein Freund ein wenig aktiver, wenngleich Sebastian und ich mit Abstand am meisten beschäftigt sind, uns im Luftgewehrschießen und den anderen Aktivitäten auszuprobieren.

Sebastian und Pakistaner in einem Wald beim Bogenschießen.
Bogenschießen
Leo und ein Pakistaner beim Bogenschießen.
Anstrengender als ich dachte 🙂
Sebastian steht zwischen zwei Bäumen und schießt mit einem Luftgewehr.
Während die Männer alles ausprobieren…
Pakistanische Frauen und ein Kleinkind in einem Wald.
…schauen die Frauen vor allem zu.

Bald aber ist dann der Ausflug wirklich zu Ende und wir fahren zurück nach Islamabad. Was wir nun noch machen möchten, will der Colonel von uns wissen. Shoppen gehen? Ich mache den Fehler und berichte, dass ich gerne einen Shalwar Kameez, ein langes Oberteil mit Pluderhose, kaufen würde. Also stoppen wir auf dem Rückweg bei einem Geschäft und ich probiere ein Modell nach dem nächsten an. Tatsächlich werde ich fündig und kann mich an der Kasse gerade so gegen die Frau des Colonels durchsetzen und meinen Einkauf selbst bezahlen. Anderes wäre mir eindeutig sehr, sehr unangenehm gewesen! Doch zum Abendessen lassen es sich die beiden nicht nehmen, uns schick auszuführen.

Um elf Uhr abends, 13 Stunden nach unserem Aufbruch heute Morgen, fallen wir todmüde ins Bett. Es war ein wunderschöner, aber auch sehr ausgefüllter Tag. Und das Programm für morgen steht bereits auch schon fest…

 

Picknick, Barbecue und ein bisschen Kultur

Mein Handy klingelt, es ist Qasim. „Can you come? My family is waiting with the picnic.” Es ist uns eine willkommene Ausrede, endlich die Selfie-Orgie zu beenden, in die wir vor der Faisal-Moschee Islamabads geschlittert sind. Als einzige zu sehende Ausländer weckten wir schnell das Interesse der Pakistaner, die teils selbst aus weit entfernten Gegenden des Landes angereist sind, um die große Moschee der Hauptstadt zu besuchen. Wir spürten die neugierigen Blicke im Rücken und versuchten, so wenig Blickkontakt wie möglich aufzunehmen. Doch irgendwann half alles nichts mehr. „Can I take a photo with you?” Wir sagten ja und dann dauerte es gute zwanzig Minuten, bis die meisten Menschen endlich ihr Foto mit uns geschossen hatten. Jetzt ernten wir immer noch einige enttäuschte Blicke und hören ein „Wait! Ek minute! One minute only!“, doch wir gehen. Sonst kommen wir hier nie wieder los.

Die Schah-Faisal-Moschee in Islamabad.
Die Schah-Faisal-Moschee ist die Nationalmoschee Pakistans und eine der größten des Landes
Leo und Sebastian mit jungen Pakistanern vor der Schah-Faisal-Moschee in Islamabad.
Ein Foto nach dem anderen wird mit uns geschossen
Leo unterhält sich mit einer pakistanischen Frau.
Irgendwann reißen wir uns dann endlich los

Auf dem Parkplatz wartet Qasim mit einem neuen Freund im Auto auf uns. Unser zweiter heutiger Stopp ist der Jinnah-Park, in dem uns seine Familie bereits erwartet. Ich freue mich zu sehen, dass heute auch Hajrah und Maryam mit ihren Kindern dabei sind. Es wurde bereits eine riesige Box mit Club Sandwiches, geschichteten Sandwiches mit Ei und Hühnchenfleisch, vorbereitet. Zudem frittieren die Frauen Pakora, mit einem Teig aus Kichererbsen ummanteltes Gemüse, auf dem Campingkocher. Eine Variante für uns, eine für sie. Ihre hat deutlich mehr Chili im Teig…

Heute fallen mir die beiden Jungs besonders auf, die sich um die Kinder der Familie kümmern. „Our helpers“, sagt die Frau des Colonels, die meinem Blick gefolgt ist. Die beiden Jungen, vielleicht zehn und vierzehn Jahre alt, leben bei ihnen, erzählt sie mir. Ihre Eltern hätten sie eindringlich gebeten, ihre Söhne mit in die Hauptstadt zu nehmen und bei ihnen wohnen zu lassen. Für ihre Arbeitsleistung zahlen die Colonels ihren Familien einen monatlichen Betrag. Ob die Jungen in die Schule gehen, möchte ich wissen. Die Frauen schütteln den Kopf. „But we teach them how to read and write“, nickt Maryam. Wie gut sie lesen und schreiben lernen, frage ich weiter. Genug, damit sie einen Einkaufszettel selbst zusammenstellen und im Laden lesen können, gibt der Colonel zurück.

Es beschäftigt mich sehr, diese beiden Kinder zu sehen, die im Haus einer anderen Familie leben und arbeiten. Sie kümmern sich rührend um die Enkel des Colonels, dabei sind sie selbst noch Kinder. Ich erinnere mich an unser erstes Abendessen und wie der Colonel uns fragte, wie es Deutschland geschafft hätte, sich aus dem Krieg in eine heute so gute wirtschaftliche Position zu arbeiten. Ob diese beiden Jungen es wohl in ihrem Leben schaffen werden, sich aus ihrem Status als Hausangestellte befreien zu können, ohne Schulbildung und ohne Berufsausbildung? Ich weiß es nicht, aber es fällt mir schwer, hier positiv zu denken.

Sebastian sitzt mit einer pakistanischen Familie in einem Park beim Picknick.
Picknick im Park
Eine Frau frittiert Pakora in einer Pfanne.
Pakora werden auf dem Campingkocher frittiert…
Sebastian spielt Ball mit zwei Jungen in einem Park in Islamabad.
…und die Kinder spielen zufrieden.

„Come, we show you a nice viewpoint”, unterbricht Qasim unser Gespräch. Gemeinsam mit seinem Freund fahren wir zu viert zum Restaurant Monal, in den Bergen oberhalb Islamabads gelegen. Im Radio läuft auch hier Despacito. Im Restaurant angekommen, ist Qasim zerknirscht. Es ist nichts zu sehen. Ganz Islamabad ist in einer beeindruckenden, gelblichen Smogwolke verschwunden! Auf Fotos sehen wir, was wir heute verpassen. Aber was soll’s, es lässt sich nicht ändern. So gehen wir zurück zum Auto und fahren nach Hause zu den Colonels.

Es wartet der vierte und letzte Programmpunkt des Tages auf uns: Barbecue auf der Dachterrasse. Die Colonels haben sich wieder mal nicht lumpen lassen, Berge von Lamm- und Hühnchenfleisch liegen bereit sowie Spieße wabbeligen Fetts. Wer diese Stücke aus dem Lammhintern wohl essen will? Mich graust es schon beim Anblick der weißen Würfel. Doch wie ich später sehe, scheinen ganz besonders diese der beliebteste Teil des Barbecues zu sein. Gut für uns, da können wir uns in aller Ruhe über Hühnchen- und Lammfleisch hermachen. Und sogar extra für mich gibt es einen kleinen Salat, denn die Frau des Colonels hat richtig beobachtet, dass ich den gerne mag.

Das Restaurant Monal in den Bergen über Islamabad.
Eigentlich hätte man von hier einen tollen Blick auf Islamabad. Eigentlich…
Die Faisal-Moschee in Islamabad beim Sonnenuntergang im Smog.
Etwas später leuchtet die Faisal-Moschee im Sonnenuntergang in einer beeindruckenden Smogbrühe
Stichflammen aus einem Grill auf einer Terrasse in Islamabad.
Die Vorbereitungen des Barbecues laufen bereits auf Hochtouren
Auf einem Grill werden Fleischspieße gegrillt.
Wenig später wird Fleisch und Fett gegrillt

Den Abend lassen wir im Wohnzimmer ausklingen und endlich können wir mal wieder unser Fotoalbum mit Bildern aus der Heimat zeigen. Viele Fragen werden uns zum Leben in Deutschland gestellt und alle Bilder werden genauestens angeschaut. Bei einem Bild von mir mit meinen Eltern und Brüdern werde ich überhaupt nicht erkannt und als ich auf mich zeige, kann sich der Colonel ein erstauntes „This is you? You look very healthy!“ nicht verkneifen. Ich weiß, was das heißt: ich sehe auf dem Bild sehr viel besser genährt als aktuell aus… Schnell ist der Gedanke an die gerade erst hinter uns liegende Woche in Skardu wieder da, die natürlich nicht spurlos an mir und auch nicht an Sebastian vorbeigegangen ist. Trotzdem kann ich über den Kommentar des Colonels lachen. „Healthy“, nette Umschreibung… 🙂

Wir wollen uns gerade verabschieden, da rufen mich Hajrah und die anderen Frauen ins Wohnzimmer zurück. Alle schauen mich erwartungsvoll an als auf einmal Hajrah ihren Gesichtsschleier zur Seite zieht. Spitzbübisch lächelt sie mich an, als ich zum ersten Mal ihr Gesicht sehen kann. Maryam und die Frau des Colonels lachen herzlich. Es ist eine komische Geste, die mir so noch nie untergekommen ist, doch es ist auch eine sehr verbindende. Ich freue mich sehr, dass Hajrah mir ihr Gesicht für diesen kurzen Augenblick gezeigt hat, wenngleich ich trotzdem nicht verstehen kann, warum sie es in der Öffentlichkeit nicht zeigen möchte. Dafür sind wir wahrscheinlich einfach viel zu verschieden aufgewachsen.

Pakistanischer Nachtisch mit Alufolie.
Beim Nachtisch kommt es zu einem lustigen Missverständnis. Was diese silberne Folie sein soll, frage ich. Alu? Ich denke an Aluminiumfolie. Die Frauen lachen laut los. „Aloo?“ Nein, das sind doch keine Kartoffeln, das ist eine Süßspeise! Erst danach geht mir auf, dass Aloo auf Urdu (und auch Hindi, Nepali und Bangla) Kartoffel heißt. Wieder können wir alle lachen. Tatsächlich ist es eine silberne, essbare Folie, wie sie hier auch gerne für Pralinen verwendet wird.
Sebastian zeigt einer pakistanischen Familie ein Fotoalbum.
Gemeinsames Fotoschauen mit dem Colonel und seiner Familie. „You look very healthy!“ – noch lange müssen wir darüber lachen.

Islamabad – eine Stadt zum Leben?

Es gibt noch so viel zu erledigen und zu sehen in Islamabad, dass wir unseren Aufenthalt spontan verlängern. Die kommenden Tage verbringen wir ohne die Colonels in der Stadt. Wir brauchen ein wenig Selbstbestimmung und haben zudem noch einiges zu organisieren. Die Visumsverlängerung erhalten wir überraschend unkompliziert und sind nun endlich wieder ganz legal im Land. Wir treffen uns für einen Nachmittag mit Almut und ihren vier Kindern, spielen Lego, essen Papageienkuchen und hören von ihr allerhand Spannendes über das Leben als Deutsche in Pakistans Hauptstadt.

Islamabad – ich hatte Chaos, Lärm und Trubel erwartet. Tatsächlich bin ich überrascht, die Stadt so aufgeräumt, sauber und grün zu erleben. Wir treffen so viele nette Menschen, dass es sich anfühlt, als wären wir schon mal hier gewesen. In der polnischen Bäckerei macht sich ein Gefühl von „Daheim“ breit, bei leckerem Brot und Backwaren vergesse ich fast, dass wir mitten in Pakistan sind. Doch wenn uns der Sinn nach „dem echten Pakistan“ (was immer das ganz konkret heißen mag) steht, dann ist Rawalpindi mit seinen kleinen Straßen, den Hupkonzerten und den vielen Lädchen nur wenige Kilometer entfernt. Zum ersten Mal auf dieser Reise habe ich das Gefühl, noch länger an einem Ort bleiben zu wollen. Ob ich hier leben könnte? Für mich fühlt sich dieser Gedanke spontan gut an. Für Sebastian aber nicht. Und so ziehen wir nach einer Woche in Islamabad weiter nach Lahore, unserer letzten Station in Pakistan…

Spiegelei und pakistanisches Paratha.
Frühstück in Islamabad: Spiegelei und Paratha, ein öliges Fladenbrot. Damit wir bald auch in Echt wieder „healthy“ aussehen 😉
Ein Geburtstagskuchen mit einem Papagei und der Aufschrift "Albert 6 Jahre".
Da verbringen wir einen sehr schönen Nachmittag mit Almut und ihren vier Kindern und machen nur ein Foto von Alberts Geburtstagskuchen! Aber immerhin, denn der sieht wirklich toll aus!
Hochhäuser und Bäume in Islamabad.
Islamabad ist überraschend grün und aufgeräumt
Eine Ziege vor einer Tür in Rawalpindi.
In der Schwesterstadt Rawalpindi geht es dagegen etwas chaotischer zu. Hier sehen wir auch wieder Tiere im Straßenbild. Lebend…
Ein Teller und ein Ziegenkopf liegen auf einer Mauer in Rawalpindi.
…und auch nicht mehr lebend.
Lebensmittelgeschäft in Rawalpindi.
In einem kleinen Laden bekommen wir alles, was wir aktuell benötigen
Ein alter Mann sitzt in Rawalpindi auf einem Wagen, auf dem Bananen und Trauben verkauft werden.
Bananen gibt es auf der Straße zu kaufen
Drei Männer stecken Metallrohre in ein Gestell.
Diese drei Herren machen Eis. Dazu wird die Eismasse in die silbernen Röhrchen gefüllt, welche in einen Eisblock gesteckt werden. Sobald sie gefroren ist, ist das Eis fertig.
Sebastian kauft Popcorn an einem Straßenstand in Rawalpindi.
Sebastian gönnt sich eine Tüte Popcorn
Ein pakistanischer Mann verkauft Knoblauch und Ingwer in Rawalpindi.
Dieser nette Mann verkauft Knoblauch und Ingwer und hatte uns um ein Foto von ihm gebeten…
Ein pakistanischer Junge in Rawalpindi.
…wie auch dieser Junge.
Zwei Männer sitzen auf dem Boden und verkaufen Trockenfrüchte und Nüsse.
Hier in Rawalpindi staunen wir, was alles verkauft wird: allerhand Nüsse und Körner hier…
Eine Straße in Rawalpindi, in der Töpfe verkauft werden.
…nebenan Töpfe und Küchenutensilien…
Männer sitzen an einem Straßenstand in Rawalpindi, an dem Hühnchenfleisch verkauft wird.
…und wenige Meter weiter Hühner – tot oder lebendig.
Sebastian mit pakistanischen Männern in einem Verkaufsbüro in Rawalpindi.
Sadaquat bittet uns so lange „ihm eine Chance zu geben“, dass wir uns schließlich doch zu einem Tee im Geschäft seines Onkels einladen lassen
Ein Junge neben einem Miniaturmodell eines pakistanischen Lastwagens.
Dann müssen wir aber weiter, denn eigentlich wollten wir uns die „Truck Art Workshops“ anschauen, in denen die Lastwagen Pakistans zu den beeindruckenden Fahrzeugen werden, die wir auf den Straßen schon so oft bestaunt haben. Hier in klein…
Zwei pakistanische Männer bemalen einen Lastwagen in Rawalpindi.
…hier in groß.
Ein Mann verschönert einen Lastwagen in Rawalpindi mit Truck Art.
Die Außenbemalung ist bunt und detailreich gestaltet…
Sebastian steht neben einem Mann. Beide halten einen Gegenstand zur Verschönerung von Lastwagen in der Hand.
…doch wird ein Lastwagen nicht nur bemalt, sondern auch mit allerhand sich drehenden, bewegenden, kreisenden Gegenständen, Bändern, Rasseln und und und verziert.
Ein Mann und ein verkleideter Junge sitzen auf einem Motorrad in Rawalpindi.
Früh übt sich, was mal ein versierter Fahrer werden möchte
Männer an einem Straßenstand in Rawalpindi.
Auf dem Weg nach Hause passieren wir diese Herren am Fischverkauf. Islamabad und Rawalpindi waren hochspannend für uns. Zwar nahe dran an der Reizüberflutung, doch trotzdem auch ganz besonders!

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