Unsere kleine Farm – Teil 1

Sebastian mit einer indischen Kuh.

„We will leave the farm tomorrow“, eröffnen wir Krish nach dem Abendessen. Zu viel ist während der letzten Tage anders gelaufen, als wir es uns vorgestellt hatten. Und so erklären wir unser Dasein als Farmer nach nur einer Woche bereits wieder als beendet.

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Wir sitzen im Bus und schauen aus dem Fenster. Die Landschaft um uns herum verändert sich, es wird immer ländlicher, immer grüner. Bereits vor über einer Stunde haben wir die indische Kleinstadt Vizianagaram hinter uns gelassen, in der wir heute Morgen mit dem Nachtzug aus Hyderabad angekommen sind. Hier, abseits von Lärm und Menschenmassen, wollen wir für zwei Wochen unser derzeitiges Leben als Reisende und Entdecker gegen die Abgeschiedenheit und Einfachheit des Landlebens eintauschen.

Über die Plattform Workaway sind wir mit Krish in Kontakt gekommen. Er ist gerade dabei, sich eine Existenz als Farmer aufzubauen und sucht Freiwillige, die ihm dabei helfen, ein bis vor Kurzem brachliegendes Stück Land in eine ökologische Selbstversorger-Oase zu verwandeln. „Be prepared for rustic, off-grid living conditions! If you like camping, you’ll like it here”, lesen wir in der Projektbeschreibung im Internet. Genau das Richtige für uns, denn am allerliebsten schlafen wir draußen in unserem Zelt.

Ein Schild am Bahnhof von Vizianagaram, auf dem "Vizianagaram Jn." steht.
Angekommen in Vizianagaram. Zum Glück ist die Beschilderung hier dreisprachig: Telugu – Hindi – Englisch.
Leo mit Reiserucksack am Bahnhof von Vizianagaram in Indien.
Etwas verschlafen steigen wir morgens aus dem Nachtzug, der uns hierher gebracht hat. Trotzdem ist die Laune gut und wir freuen uns auf unsere erste Erfahrung als Farmer.
Drei indische Frauen halten am Busbahnhof von Vizianagaram Orangen in der Hand.
Am Busbahnhof werden Orangen und Granatäpfel als Proviant für die Reisenden verkauft

Während ich noch darüber nachdenke, was diese neue Erfahrung wohl für uns bereithalten wird, stoppt der Bus und der Fahrer bedeutet uns auszusteigen. Wir haben für die Farm nur eine grobe Ortsbeschreibung erhalten und müssen uns daher darauf verlassen, dass der Fahrer die für uns richtige Haltestelle kennt.

Ich steige als Erster aus und nehme der Reihe nach unsere Gepäckstücke entgegen, die mir Leo aus dem Inneren des Busses hinunterreicht. Wieder einmal denke ich, dass wir einfach zu viel dabei haben: zwei große Rucksäcke, zwei kleine Tagesrucksäcke, dazu eine Gitarre und dann noch einen Stoffbeutel für den Proviant. Schon oft haben wir uns vorgenommen, unser Gepäck zu minimieren, aber wer von Meereshöhe bis Hochgebirge in sämtlichen Klimazonen unterwegs sein will, braucht eben Klamotten für sowohl extrem heiße, als auch für extrem kalte Bedingungen. Und dann ist da noch die Campingausrüstung, die fast die Hälfte des Platzes in unseren Rucksäcken ausfüllt.

Da stehen wir also, irgendwo an einer kleinen Landstraße, um uns herum nur Felder und eine Hühnerzucht, in der allerdings keine Tiere zu sehen sind. Vom Bus aus haben wir Krish angerufen, um ihn zu informieren, dass wir auf dem Weg zu ihm und seiner Farm sind. Er hat sich am Telefon nett angehört und versprochen, an der Bushaltestelle auf uns zu warten. Leider ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen und Handyempfang haben wir hier auch keinen mehr. So bleibt uns nichts anderes übrig, als erst einmal abzuwarten.

Gut 15 Minuten später vernehmen wir ein Motorengeräusch, das allmählich lauter wird. Kurz darauf sehen wir auch schon zwei Männer, die aus einem Feldweg heraus auf uns zugefahren kommen. Einer der beiden Männer stellt sich als Krish vor und sagt, dass er und sein Freund uns auf ihren Motorrädern zur Farm bringen werden. Ich frage mich, wie das mit dem ganzen Gepäck wohl funktionieren soll. Die Lösung dafür ist pragmatisch: kleiner Rucksack auf den Rücken, großer Rucksack auf den Schoß, Gitarre und Provianttasche obendrauf – fertig.

Leo sitzt mit einem Reiserucksack auf dem Rücksitz eines Motorrads.
Auf einem Motorrad lässt sich in Indien so allerhand transportieren. Im Hintergrund sieht man die Bushaltestelle, die immerhin ein wenig Schatten spendet.

Die Fahrt bis zur Farm dauert etwa 20 Minuten. Gerade als meine Beine anfangen zu zittern und der große Rucksack auf meinen Oberschenkeln zu schwer zu werden droht, kommen wir an. Mit dem Gepäck auf dem Rücken gehen wir hinunter zur Farm. Als wir näherkommen, bemerken wir, dass zwei weiße Hunde kläffend auf uns zu gerannt kommen. Zum Glück sind Tripet und Grupet erst wenige Wochen alt und einfach nur neugierig auf die fremden Besucher. Vor diesen ziemlich dünnen, aber zuckersüßen Rackern haben wir eher keine Angst.

Auf der Farm werden wir bereits von Elli aus Frankreich, Pien aus Kanada sowie Sabrina aus Argentinien erwartet, die wie wir als Freiwillige hierhergekommen sind. Die drei sind gerade damit beschäftigt, Erde in kleine Plastiksäckchen zu füllen, die zu Hunderten auf dem Farmgelände herumstehen. Anscheinend eine der zahlreichen Aufgaben, die es hier zu erledigen gilt.

Da es bereits zwei Uhr nachmittags ist und wir seit dem Frühstück nichts mehr gegessen haben, fragen wir Krish, ob wir noch rechtzeitig zum Mittagessen angekommen sind. Die Idee von Workaway ist es, dass Freiwillige ihre Zeit und Arbeitskraft in eines der zahlreichen Projekte einbringen und dafür im Gegenzug freie Kost und Logis erhalten. Da wir unser eigenes Campingequipment dabei haben, beschränkt sich die Gegenleistung in unserem Fall auf die Mahlzeiten, die auf einer Selbstversorgerfarm eigentlich kein großer Kostenpunkt sein sollten. Krish schaut uns etwas skeptisch an, stimmt dann aber zu. Jetzt wird gekocht.

Zwei Hundewelpen auf einer indischen Farm.
Auf der Farm angekommen, begrüßen uns Tripet und Grupet, die beiden süßen Hundewelpen
Ein Haufen aus Sand, Erde und Humus auf einer indischen Farm.
Blick auf die Farm und den Haufen aus Sand, Erde und Humus, den die Freiwilligen in kleine Plastiksäckchen abfüllen müssen
Bananenpalmen neben einem Pumpbrunnen.
Die zentral gelegenen Bananenpalmen stehen direkt neben dem Pumpbrunnen, mit dem sich Wasser zum Kochen und Waschen aus dem Boden befördern lässt
Metallgeschirr auf einem improvisierten Regal.
Das Koch- und Essgeschirr lagert unter freiem Himmel und wird nach Benutzung mit einer aus einer Nuss gewonnenen Seifenlösung abgespült
Leo kocht in einer Lehmhütte.
Leo bei ihrem ersten Einsatz am Herd

Da wir schon lange nicht mehr selbst gekocht haben, helfen wir gerne beim Kleinschneiden und Anbraten der Zutaten. Eine halbe Stunde später versammeln sich alle im kleinen Lehmhäuschen, das Küche, Esszimmer, Aufenthaltsraum und Krishs Schlafzimmer zugleich ist. Anscheinend sind wir nicht die Einzigen, die hier Hunger haben, denn auch Elli, Pien, Sabrina und Krish machen sich gierig über das Gemüsecurry mit Linsen und rotem Navara-Reis her. Und sogar Tripet und Grupet bekommen eine Portion vom Reis ab, der auf der Farm das Hundefutter ersetzt. So richtig zu schmecken scheint es den beiden Welpen allerdings nicht.

Nach dem Essen und einem ersten Kennenlernen übernehmen wir den Abwasch, der wie folgt vonstattengeht: Das vorgespülte Geschirr wird auf den Boden gestellt und anschließend mit einem Stück Kokosnussschale abgeschrubbt. Um das Fett zu lösen, kommt eine aus Waschnüssen gewonnene Seifenlösung zum Einsatz. Alles organisch. Während einer schrubbt, pumpt der Andere Wasser aus dem Boden, um das Geschirr noch einmal unter sauberem Wasser abzuspülen. Ohne chemische Seife oder einen Putzschwamm abzuspülen, mag in der Theorie eine tolle Sache sein – in der Praxis werden die Teller so jedoch nur bedingt sauber. „Dreck macht Speck“, denken wir uns und finden uns fürs Erste damit ab.

Da gerade Januar ist und die Sonne auch hier früh untergeht, wollen wir nach dem Abwasch unser Zelt aufbauen. Krish schlägt vor, es uns direkt neben Sabrinas Zelt und unter Ellis und Piens improvisierten Matratzenlager im ersten Stock gemütlich zu machen. Ziemlich beengt. Wenn wir schon den ganzen Tag zusammen leben und arbeiten, hätten wir wenigstens nachts gerne ein bisschen Privatsphäre. Und da die Farm ein riesiges Gelände umfasst, verstehen wir auch nicht, weshalb wir alle am gleichen Fleck schlafen sollen. Wir beschließen, uns nach einem etwas einsameren Platz für unser Zelt umzusehen und werden auch schnell fündig.

Ein mit Palmenblättern gedecktes Haus, unter dem ein Zelt steht.
Hier hätten wir uns mit dazukuscheln dürfen. Wollten wir aber nicht 🙂
Ein Zelt auf einer Wiese einer indischen Farm für Permakultur.
Wozu auch, wenn wir an diesem Ort unser Zelt aufschlagen können

Am späten Nachmittag wartet unser erster richtiger Arbeitseinsatz auf uns. Zusammen mit Krish sollen wir die etwas abseits der Farm stehenden Rinder einfangen und für die Nacht an einem geeigneten Ort festbinden. Wir sind gespannt. Doch zuerst müssen wir die weißen Tiere suchen, die tagsüber frei herumspazieren dürfen. Zum Glück kennt Krish die Lieblingsecken seiner Vierbeiner und so haben wir sie schnell gefunden. Viele Flecken, die in der kargen Landschaft zum Grasen taugen, gibt es hier ohnehin nicht.

Leider haben die Rinder ihren eigenen Kopf und keine Lust, sich von uns einfangen zu lassen. Die Leitkuh ist besonders störrisch und hat unseren Anpirschversuch bemerkt, lange bevor wir nahe genug an ihr dran sind. Mit kraftvollen Sätzen rennt sie davon, dicht gefolgt von ihrem Jungtier, das nicht alleine bleiben will. „We have to split up“, informiert uns Krish.

Während Krish versucht, die Leitkuh zu besänftigen, gehe ich mit Leo rüber zu den beiden Bullen, die an einem Busch einen letzten Feierabendsnack zu sich nehmen. Für meinen Vorschlag, Leo solle die Tiere am Halsband packen, während ich aufpasse, dass sie nicht davonlaufen, ernte ich nur einen empörten Blick. Jetzt muss ich selbst ran.

Aber unter anderem dafür sind wir ja hier, um unsere Komfortzone von Hotels, Restaurants und Großstadtleben zu verlassen und mal wieder etwas mit unseren eigenen Händen zu machen. Und so nehme ich all meinen Mut zusammen und gehe langsam auf die fressenden Bullen mit den spitzen Hörnern zu. Die beiden sind so damit beschäftigt, die besten Blätter vom Busch zu zupfen, dass sie mich scheinbar gar nicht bemerken. Als ich nahe genug dran bin, greife ich nach dem Strick des größeren Tieres. Kurz darauf hält Leo den Strick des zweiten Bullen in ihren Händen. War ja gar nicht so schwierig.

In einiger Ferne sehen wir Krish, dem es inzwischen gelungen ist, die Leitkuh einzufangen. Mit einer Armbewegung signalisiert er uns, zu ihm herüberzukommen. Nichts leichter als das – hätten unsere beiden Bullen nicht andere Pläne. Als wir mit dem Strick in der Hand loslaufen wollen, in etwa so, als würden wir mit einem Hund Gassi gehen, bleiben sie einfach stehen. „Na gut“, denken wir uns, „dann ziehen wir eben etwas fester.“ Doch ein fressendes Rind, das ein Vielfaches unseres eigenen Körpergewichts auf die Waage bringt, gegen seinen Willen in Bewegung zu setzen, ist gar nicht so einfach. Wir versuchen es mit aufmunternden „Hey!“-Rufen, von denen sich unsere tierischen Freunde leider wenig beeindruckt zeigen.

Etwas hilflos blicke ich rüber zu Krish, der einen langen Stock in die Höhe streckt. Kurz müssen wir suchen, dann halten auch wir hölzerne Gerten in den Händen. Und siehe da: Ein kurzer Klaps auf den Kuhhintern bewirkt Wunder! Endlich setzen sich die Bullen in Bewegung und wir schaffen es sogar, sie in die richtige Richtung zu lenken. Krish, der schon auf uns gewartet hat, erklärt uns, dass wir die Herde über Nacht an Baumstämmen festbinden müssen. Morgen früh kommen wir zurück und machen sie wieder los. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Ich wurde soeben zum offiziellen Kuhhirten für die nächsten Tage ernannt.

Sebastian und Krish gehen mit Eimern in der Hand auf einem Feldweg.
Zusammen mit Krish machen wir uns auf den Weg, die vierköpfige Kuhherde einzufangen
Eine weiße indische Kuh auf einer Wiese.
Die erhabenen Geschöpfe haben leider ihren ganz eigenen Kopf
Sebastian mit einer weißen indischen Kuh auf einer Farm für Permakultur.
Am Ende können wir uns durchsetzen und bringen die Tiere sicher zu ihrem Nachtlager

Während die Sonne bereits zwischen bewaldeten Hügeln verschwindet, machen wir uns auf den Rückweg zur Farm. Unterwegs gibt uns Krish eine erste Einführung in Sachen Permakultur. Die Philosophie von Permakultur ist es demnach, mit und nicht gegen die Natur zu arbeiten. Im Unterschied zur Monokultur versucht Permakultur daher, ein landwirtschaftliches Ökosystem zu schaffen, das vielfältig, stabil und widerstandsfähig ist.

Laut Krish ist es dabei das Wichtigste, eine gute Bodenbeschaffenheit zu erreichen. Zu diesem Zweck verteilt er möglichst viel Holz auf dem Farmgelände, das dann mit der Zeit verrottet. Da er dafür leider kein eigenes Holz zur Verfügung hat, behilft er sich mit „Fundholz“ von benachbarten Feldern. Und genau dieses Holz dürfen wir jetzt schultern und zurück zur Farm schleppen. Die Holzbrocken sind schwer und unhandlich, Handschuhe gibt es für diese Arbeit keine. Mit der Last auf den Schultern und unseren Flipflops an den Füßen, haben wir einige Mühe, durch einen kniehohen Wasserkanal zu waten. Und dann löst sich auch noch das Zehenband meiner Flipflops, sodass mitten im Kanal mein Schuh davonschwimmt. Super.

Völlig verschwitzt und mit Kratzern an Armen und Kopf erreichen wir schließlich die Farm. Da es hier ohnehin keine Dusche gibt und wir schon wieder hungrig sind, begeben wir uns zum nächsten Arbeitseinsatz in die Küche. Beim Abendessen unterhalten wir uns mit den anderen Freiwilligen und verabschieden uns bald darauf in Richtung Zelt. Nach einer Katzenwäsche am Pumpbrunnen fallen wir auf unsere Isomatten und sind wenige Augenblicke später eingeschlafen.

Eine Frau kocht in der Küche einer Lehmhütte.
Am Abend bereiten wir zusammen mit Sabrina aus Argentinien selbstgemachte Pasta zu
Sebastian sitzt auf einem Bett und hat einen Hundewelpen auf dem Schoß.
Nach dem Essen ist Kuschelzeit mit Grupet

Wie es für uns auf der Farm weitergeht und weshalb wir schließlich die Reißleine ziehen, lest ihr in „Meine kleine Farm – Teil 2“.

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