Nach unserer Ankunft auf der Farm und einem ersten Vorgeschmack auf das indische Landleben, verschwinden wir am Abend müde in unser Zelt. Wir verbringen eine erholsame Nacht und werden am nächsten Morgen von den ersten Sonnenstrahlen geweckt, die schon ab 6.30 Uhr auf unser Zelt fallen. Voller Tatendrang und mit Vorfreude auf unseren ersten richtigen Arbeitstag machen wir uns bereit. Krish, dem die Farm gehört, ist schon auf den Beinen und verteilt erste Aufgaben. Leo wird für die Zubereitung des Frühstücks eingeteilt; ich selbst soll mit zu den Rindern kommen.
Während Leo zusammen mit Elli aus Frankreich Okraschoten und Chapati zubereitet, begleite ich Krish zu den Rindern. Eigentlich müssen wir die Tiere morgens nur losbinden, damit sie umherziehen und fressen können. Doch was sich in dieser Nacht zugetragen hat, können wir nur erahnen. Die Stricke von drei der vier Rinder, mit denen wir sie am Vorabend an Bäumen festgebunden hatten, haben sich so dermaßen ineinander verheddert, dass sich die Tiere nun keinen Schritt mehr nach vorne oder hinten bewegen können. Der Versuch, die Paarhufer zu befreien, gleicht einer Sisyphusarbeit. Sobald wir die Knoten nur ein wenig gelockert haben, setzen sich die hungrigen und durstigen Tiere in Bewegung und ziehen die Verknotung damit noch fester zu.
Nach einer Weile schaffen wir es dann doch, einen der Bullen loszubinden. Als auch das letzte Tier endlich seine Freiheit wiedererlangt hat, folgen wir der Herde zum Wasserkanal, an dem die Rinder ihren Durst stillen. Fürs Erste ist unsere Arbeit hier erledigt; wir können zurück zur Farm. Mein Magen knurrt bereits, denn ich habe heute noch nichts gegessen. Doch Moment! Wir können nicht zurückgehen, ohne uns vorher noch etwas Holz von Krishs Nachbarn „auszuborgen“. Ein vorbeikommender Mann schaut uns argwöhnisch an und sagt etwas zu Krish, das ich nicht verstehe. Aus seiner Gestik schließe ich, dass er es gar nicht gut findet, dass wir in einer Gegend, in der viele Menschen noch mit einem Holzfeuer kochen, das kostbare Brennmaterial anderer Leute entwenden. Krish scheint es wenig zu stören.
Zurück bei der Farm ist die Zubereitung des Frühstücks gerade in den Endzügen. Leos Gesichtsausdruck sprüht nicht gerade vor Begeisterung, seit fast zwei Stunden steht sie nun bereits in der Küche, um Krishs Wunschfrühstück zuzubereiten. „Morgen früh muss das anders laufen!“, sagt sie zu mir im Vorbeigehen. Meiner Meinung nach hat sie Recht. Die Zubereitung der ersten Mahlzeit des Tages sollte schnell und möglichst einfach sein und nicht in eine Kochorgie ausarten. Unser Vorschlag für die nächsten Tage: Porridge mit Obst. Zum Glück zeigt sich Krish kompromissbereit und stimmt zu. Lecker war das Okra-Frühstück dann aber trotzdem.
Nach dem Essen geht es an die Arbeit, die wie folgt aussieht: Ein Teil der Freiwilligen sorgt mit Eimer und Schubkarre für den nötigen Nachschub an Sand, Lehm und Humus, der Rest vermengt die drei Bestandteile zu einer homogenen Mischung und füllt sie anschließend in kleine Plastiksäckchen ab. Die gefüllten Säckchen dienen später als Anzuchtsort für Setzlinge.
Leo und ich werden zum Abfüllen der Säckchen eingeteilt. Mittlerweile steht die Sonne bereits hoch am Himmel und im Umkreis der Erdhaufen gibt es keinen Schatten. Wie gut, dass Leo ein nicht zu verachtendes Improvisationstalent besitzt und für Abhilfe sorgt 🙂 Dazu bindet sie einfach ein paar Tücher mit Seilen an Stangen fest – fertig ist das Sonnendach. So lässt es sich besser Arbeiten, doch wirklich Spaß macht uns die stupide Arbeit nicht.
Auf einmal ist schon wieder Mittagessenszeit und es werden Freiwillige für den Herd gesucht. Da zu diesem Zeitpunkt keiner wirklich Lust zu kochen hat, erbarmt sich Leo und steht damit an diesem Tag schon zum zweiten Mal in der Küche. Dass sie dieses Mal nicht wirklich Spaß dabei hat, ist ihr anzusehen. Irgendwann kommt ihr Sabrina aus Argentinien zu Hilfe und gemeinsam kochen sie für alle Gemüsecurry mit Reis. Beim Mittagessen ist die Stimmung im Team nicht mehr ganz so ausgelassen wie noch am Abend zuvor. Ob es an der eintönigen Arbeit liegt?
Nach dem Essen verabschiedet sich Sabrina. Sie fährt mit dem Bus in die Stadt, um Besorgungen für die Farm zu erledigen und neue Vorräte einzukaufen. In Vizianagaram wird sie bei Krishs Freunden übernachten und erst am nächsten Morgen zur Farm zurückkehren.
Wir verbringen den Nachmittag erneut damit, Erde in Säckchen zu füllen und sind froh, als uns die sich neigende Sonne irgendwann von dieser stupiden Arbeit erlöst. Vielleicht bekommen wir ja morgen eine spannendere Aufgabe?
Nachdem ich zusammen mit Krish und Pien aus Kanada die Kühe versorgt und neues Holz zur Farm geschleppt habe, ist es Zeit für eine Dusche. Wobei Dusche ein dehnbarer Begriff ist. Um uns zu waschen, gehen Leo und ich zum kleinen Bach hinunter, der in der Nähe der Farm vorbeifließt. Wir ziehen uns aus und legen die Klamotten am Ufer ab, bevor wir ins knietiefe Wasser hineinwaten. Hoffentlich kommt jetzt keiner vorbei. Das Wasser ist nach dem heißen Tag eine willkommene Abkühlung und mit einem Plastikbecher schütten wir uns das kühle Nass über Kopf und Körper. Eigentlich hatte uns Krish gebeten, statt Duschgel die aus einer Nuss gelöste Ökoseife zu benutzen. Doch diese wurde bereits mehrere Male zum Geschirrspülen verwendet und wir haben unsere Zweifel, ob wir damit ordentlich sauber werden.
Am nächsten Morgen kommt Sabrina aus der Stadt zurück. Mit dabei hat sie frisches Obst, Nüsse, Honig und Haferflocken, aus denen wir ab sofort leckeres Porridge zum Frühstück kochen können. Alle Freiwilligen sind begeistert von den kulinarischen Aussichten, nur Krish scheint sich nicht wirklich darüber zu freuen.
Als Leo und ich schon wieder um den Erdhaufen herumsitzen und Säckchen befüllen, kommt Sabrina mit einem Zettel auf uns zu. Sie hat die Ausgaben ihrer Besorgungen aus der Stadt aufgelistet und die Kosten durch die Anzahl der Freiwilligen geteilt. „Weshalb das denn?“, frage ich sie. Die Vereinbarung ist doch, dass Krish als Gegenleistung für unseren Arbeitseinsatz für die Verpflegung aufkommt. Sabrina schaut uns etwas hilflos an. Sie erzählt, dass Krish sie seit einigen Tagen sehr unfreundlich behandelt und sie sich deshalb nicht traut, ihn um die Erstattung der Auslagen zu bitten.
Etwas später kommt Krish vorbei und wir nutzen die Gelegenheit, ihn nach der Regelung hinsichtlich Lebensmittel und Essensversorgung zu fragen. „Elli and Pien are paying for their stay and food“, gibt er uns Auskunft. Dass wir für unsere Mitarbeit auf Krishs Farm kein Geld bekommen, ist für uns in Ordnung, solange die Arbeit Spaß macht, die Stimmung gut ist und wir etwas Neues dazulernen. Die Mindestgegenleistung für unsere Zeit und Arbeitskraft, die hier einer Privatperson und keinem gemeinnützigen Projekt zu Gute kommt, ist für uns die Verpflegung. Das sagen wir Krish auch und es scheint für ihn in Ordnung zu sein. Vorerst.
In den kommenden Tagen wird die Stimmung auf der Farm zunehmend schlechter. Die Arbeit ist einfach zu langweilig und eintönig und Krish schafft es nicht, zumindest eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Stattdessen gerät er immer wieder mit Sabrina aneinander, was die Stimmung in der Gruppe zusätzlich belastet. Auch haben wir den Eindruck, dass es für ihn doch nicht ganz okay ist, dass wir für unser Essen nicht bezahlen. Regelmäßig gehen die Vorräte zur Neige und wir müssen ihn wiederholt bitten, für Nachschub zu sorgen.
An unserem vierten Tag auf der Farm verabschieden sich Elli und Pien von uns; für sie ist ihre Zeit hier vorüber. Etwas neidisch blicken wir ihnen hinterher, als sie das Farmgelände verlassen und zurück in die Zivilisation fahren. Wir haben zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die Hälfte unserer geplanten Aufenthaltsdauer bewältigt.
Ab sofort sind Leo und ich dafür zuständig, neuen Sand, Lehm und Humus herbeizuschaffen. Den Sand schaufeln wir vom Ufer eines Flussbettes, den Lehm hacken wir aus einem grasbedeckten Hügel und den Humus scharren wir aus einem Haufen neben dem Feld. Letzterer ist dabei so mit Plastikteilen und sonstigem Müll durchsetzt, dass es einfach nur eklig ist. Und zudem müssen wir den ganzen Müll vor der Verwendung des Humus von Hand aussortieren. Wir haben keine Lust mehr.
Zwei Tage halten wir noch durch, dann kommt es zum Showdown zwischen Sabrina und Krish. Während sie gemeinsam Lehmstücke zerkleinern, eskaliert der Streit. Die beiden schreien sich in einer Lautstärke gegenseitig an, dass es wohl noch im nächsten Dorf zu hören ist. Krish wirft Sabrina vor, zu wenig zu arbeiten und ihm „auf der Tasche zu liegen“. Sabrina fühlt sich ungerecht behandelt und in ihrer Ehre verletzt und verteidigt sich entsprechend. Die Stimmung auf der Farm ist am Tiefpunkt angelangt.
Ich schaue Leo an. Was machen wir hier eigentlich? Wir sind auf Reisen gegangen, um neue Erfahrungen zu machen, spannenden Menschen zu begegnen und mit ihnen eine gute Zeit zu verbringen. Nun sitzen wir seit einer knappen Woche auf einer mehr als rustikalen Farm fest, jagen Kühe, schleppen Sand, Erde und Holz, befüllen dämliche Säckchen und bekochen den Eigentümer. Spaß macht das schon lange nicht mehr und wir können noch nicht einmal unsere knapp bemessene Freizeit genießen, da die Stimmung im Keller ist und wir ständig das Gefühl haben, dass Krish nicht wirklich für unsere Verpflegung aufkommen will.
Kurz überlegen wir, ob wir noch abwarten sollen. Doch schnell kommen wir zu dem Schluss, dass wir uns hier schon seit Tagen nicht wirklich wohl fühlen. Wir können uns eine Vielzahl angenehmerer Alternativen vorstellen, unsere begrenzte Zeit in Indien zu verbringen. Zudem hat uns ein indisches Pärchen, das wir in Hyderabad kennengelernt haben, zu einem Familienfest in ihrem Heimatort eingeladen, das am Wochenende beginnen soll.
„Nutzen wir unsere Freiheit und gehen!“, fasst Leo unsere Überlegungen zusammen. Am Nachmittag weihen wir Sabrina in unsere Pläne ein und erzählen ihr, dass wir die Farm am nächsten Tag verlassen werden. Sie ist zunächst geschockt, da sie geplant hatte, noch zwei weitere Wochen auf der Farm zu verbringen. Doch ganz alleine mit Krish will auch sie nicht hierbleiben. Eine weise Entscheidung, wie wir finden.
„We will leave the farm tomorrow“, eröffnen wir Krish nach dem Abendessen. Zu viel ist während der letzten Tage so ganz anders gelaufen, als wir es uns vorgestellt hatten. Krish wirkt überrascht, nimmt es aber mit einem „Okay“ zur Kenntnis. Wir haben den Eindruck, dass er nichts weiter dazu sagen will. Doch die deutsche Feedbackkultur ist wohl zu tief in uns verankert, um es einfach dabei zu belassen 🙂 Und so erklären wir Krish unsere Entscheidung, auch wenn er nicht danach gefragt hat.
Krish gibt sich gesprächsbereit, doch für sämtliche Punkte, für die wir einen Verbesserungsvorschlag haben, hat er sogleich eine Rechtfertigung parat. Die Schuld liegt selbstverständlich nicht bei ihm. Wenn er meint… Als wir uns für unsere letzte Nacht auf der Farm in unser Zelt zurückziehen, fühlen wir uns in unserer Entscheidung bestätigt. Hier wird sich wohl so schnell nichts ändern.
Und so geht unsere erste Workaway-Erfahrung und unser Leben als Farmer nach nur einer Woche bereits wieder zu Ende. Wir bereuen es nicht, hier gewesen zu sein, aber wir sind auch froh, rechtzeitig die Reißleine gezogen zu haben.
Als wir am nächsten Tag auf den Bus warten, der uns zurück in die Stadt bringen soll, ergibt sich unverhofft eine Mitfahrgelegenheit. Zwei sehr nette Männer bieten an, uns in ihrem Auto mitzunehmen und stoppen für uns sogar an einer Baumwollplantage. In uns macht sich Erleichterung breit und wir fühlen, dass es die richtige Entscheidung war, die Farm vorzeitig zu verlassen.
Noch während der Fahrt in die Stadt erhalten wir eine Nachricht von Rekha aus Vizag, die uns spontan anbietet, bei ihr zu übernachten. Wir kennen sie zwar nicht persönlich, doch die Einladung der Schwester unserer Bekannten aus Hyderabad werden wir gerne annehmen und mit ihr zusammen zum Erntedankfest bei ihrer Großfamilie fahren. Jackpot!
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Hallo ihr Lieben
Diese Erfahrung tönt mehr nach Ausbeutung als nach einem angemessenen Austausch! Schade, dass eure erste Workaway Erfahrung so endete.. Trotzdem kann ich euch nur ermuntern, es irgendwann nochmals zu versuchen. Wir haben so unglaublich tolle und unvergessliche Momente erlebt, die wie nie vergessen werden. Nun viel Spass in Bangkok. Es war toll euch kennenzulernen und wir werden euren Blog verfolgen. 🙂 Ihr seit eine eine Inspiration und ich finde es bewundernswert, dass ihr aufs Fliegen verzichtet!
Hallo ihr zwei,
wie schön, von euch zu lesen! Ja ihr habt vollkommen recht, workaway hat bestimmt auch viele tolle Projekte im Angebot. Der Start war für uns nicht ganz glücklich, aber ich hoffe auch, dass wir in der Zukunft bessere Erfahrungen machen werden. Eure Erzählungen haben uns auf jeden Fall Lust auf einen neuen Versuch gemacht! ?
Habt eine tolle Zeit in Indonesien, wir sind schon auf eure Berichte gespannt!
Viele liebe Grüße aus Bangkok von uns beiden!