Mit fünf Stunden Verspätung tuckert unser Zug aus Kolkata endlich in den indisch-nepalesischen Grenzort Raxaul. Entnervt schnappen wir unser Gepäck und machen uns zu Fuß auf den Weg Richtung Grenze. Wir lehnen die Angebote der vielen Rickshaw-Fahrer ab – eine gute Entscheidung. Denn wenig Meter später stecken bereits alle Lastwagen, Autos, Rickhaws und Kuhgespanne fest im Stau, durch den wir uns zu Fuß aber noch durchschlängeln können.
Das indische Ausreisegebäude ist eine unscheinbare Hütte am rechten Straßenrand, die außer uns niemand betritt. Der Grenzübertritt ist Indern und Nepalesen ohne Kontrolle gestattet. Wir aber brauchen unseren Ausreisestempel. „How long did you stay in India?“, fragen uns die beiden Grenzbeamten freundlich. Beim Durchblättern unserer Pässe verdunkelt sich die Miene des einen und wortlos reicht er einen unserer Pässe an seinen Kollegen weiter. „You have been in Pakistan?“, werden wir nicht mehr ganz so nett gefragt. „Pakistan is not for tourism, there is only terrorism.“ Wir aber haben von Terrorismus zum Glück nichts mitbekommen, vom Tourismus dagegen schon und berichten von schönen Wochen in den Bergen, gastfreundlichen Menschen in den Städten und von den vielen Pakistanern, die uns gegenüber äußerten, dass sie selbst so gerne einmal nach Indien fahren würden, um ihre dort lebenden Verwandten zu besuchen. Doch diese beiden Grenzbeamten, wie so viele andere Inder auch, die wir in den letzten zweieinhalb Monaten hier getroffen haben, stehen Pakistan sehr skeptisch gegenüber. Leider. „How many countries have you crossed to come to India?“ Als wir “fourteen” antworten, ändert sich die Miene unseres Gegenübers wieder. „14?“, kann er kaum glauben. Da verzeiht er uns, dass wir auch Pakistan besucht haben und möchte doch gerne Sebastian die Hand schütteln und ein Foto mit uns schießen. „I never met someone who visited 14 countries!“
Ohne weitere Zwischenfälle laufen wir die Straße weiter entlang und passieren das große Tor, welches die Grenze zwischen den beiden Ländern markiert. Tschüss Indien! Und hallo Nepal! Auch hier läuft die Einreise unproblematisch, wir kaufen zum ersten Mal unser Dreimonatsvisum direkt an einer Grenze, bekommen den Aufkleber samt Stempel in den Pass geklebt und dürfen weiter. Für unser Gepäck interessiert sich auf beiden Seiten niemand.
Ein Gutes hat unsere fünfstündige Zugverspätung vielleicht doch. Alle Tagesbusse sind sowieso viel zu früh für uns gefahren und so ist die Wartezeit bis zur Abfahrt des Nachtbusses nach Kathmandu nun nicht mehr so lange. Um 19 Uhr steigen wir in den Bus und ich runzele die Stirn. Von Indien kommend, hat der Beiname „sleeper bus“ eine eindeutig falsche Assoziation bei mir geweckt. Von einem luxuriösen Bus mit viel Beinfreiheit und bequemen, weit nach hinten klappbaren Sitzen sind wir weit entfernt. Unser Bus erinnert eher an eine klapprige Sardinenbüchse. Mein Fenster lässt sich nicht richtig schließen und rutscht während der holprigen Fahrt immer wieder auf, so dass ich den eisigen Nachtwind ins Gesicht bekomme. Mittlerweile haben wir schon all unsere Jacken entweder an oder über unsere Beine gelegt, doch immer noch ist es kalt. Wir schrauben uns auf katastrophalen Straßen in die Höhe und holpern stundenlang durch Schlaglöcher und über Wellbrettpisten. Oder wir stehen einfach komplett im kilometerlangen Stau der von Indien kommenden Lastwagen, die ihre Ware nach Kathmandu fahren. Um 9 Uhr morgens kommen wir nach 275 Kilometern und 14 Stunden Fahrtzeit endlich in Kathmandu an. Jetzt fahren wir so schnell nirgendwo mehr hin…
In Kathmandu unterbrechen wir unsere Reise nun erst mal für die kommenden drei Wochen. Nach den abwechslungsreichen und anstrengenden letzten Wochen in Indien brauchen wir eine Pause. Zu viel Organisatorisches hat sich angehäuft, neue Blogberichte wollen geschrieben werden und wir möchten einfach mal nur faul ein Buch lesen und uns nicht mit der Suche neuer schöner Reiseziele beschäftigen. Im familiengeführten Monkey Temple Homestay können wir uns eine kleine Einzimmerwohnung mit winziger Küchenzeile mieten und sind glücklich.
Obwohl es im Februar in Kathmandu kalt ist und Wasser nur über die Solaranlage auf dem Dach erwärmt wird, sofern die Sonne scheint, genießen wir unsere Wohnung in vollen Zügen. Zum Frühstück backt uns Sebastian Pfannkuchen, abends kochen wir uns Reis oder Nudeln mit Gemüse, tagsüber sitzen wir auf der Dachterrasse in der Sonne und lesen, schreiben am Blog oder machen einfach nichts. Wir treffen meine ehemaligen Kollegen und Freunde, die ich noch von meinem Praktikum 2009 her kenne und besuchen einige Tempel und kulturelle Highlights der Stadt. Von Tsering werden wir in sein tibetisches Kinderheim eingeladen und dürfen mit den Kindern und Angestellten Losar, das tibetische Neujahr feiern, werden von unseren Vermietern eingeladen, mit ihnen das Neujahrsfest ihrer Volksgruppe der Tamang zu feiern und wundern uns selbst, wie schnell doch drei Wochen vergehen können.
Die drei Wochen in Kathmandu gehen schnell vorbei, doch anfangs war es gar nicht so einfach, mal einen Gang zurückzuschalten und die Füße still zu halten. Tatsächlich hatte mir Kathmandu nicht gefallen. Obwohl ich schon dreimal zuvor hier gewesen bin, war es mir dieses Mal zu versmogt, zu vermüllt, zu grau. Kein Vergleich zum kulturell gut aufgestellten Kolkata. Mich befällt nach drei Tagen eine innere Unruhe und ich beginne, wieder Pläne für ein „Weiter“ zu schmieden. Wollen wir hier wirklich bleiben? Unsere letzten Wochen in Indien waren so von Begegnungen mit netten Menschen geprägt, dass ich mich hier einsam fühle. Die Nepalesen, die wir bislang getroffen haben, sind nett, aber auch zurückhaltend. Noch war es uns nicht möglich, zu neuen Leuten einen tiefergehenden Kontakt aufzunehmen, der über alltägliche und belanglose Themen hinausgeht. Aber zum Glück gibt es noch Banu, eine Bekannte von früher, mit der wir uns mehrere Male treffen und mit der wir uns toll unterhalten können.
Ich kenne das mittlerweile, dass es mir nach Phasen des Reisens schwer fällt, an einem Ort zu bleiben. Das war schon in Osch in Kirgistan so, in dem ich nach drei Tagen weiter wollte, in dem wir schlussendlich aber drei Wochen blieben. Und auch in Goa am Strand war es ähnlich. So verwundert es mich nun nicht, dass ich auch in Kathmandu diese innere Unruhe spüre und bin froh, als diese nach drei, vier Tagen von selbst verschwindet. Habe ich es mal geschafft, einen Gang zurückzuschalten, dann merke ich, dass mir das sehr gut tut.
Nach endlich drei Wochen des Ausspannens, Schreibens und Erledigens beschließen wir, dass es nun Zeit für Neues ist! Mit dem Bus holpern wir zurück in den Süden und statten dem wohl bekanntesten Nationalpark des Landes – Chitwan – einen Besuch ab. In der tollen Evergreen Ecolodge mit Komposttoilette beziehen wir einen winzigen Bungalow, hören nachts den in den Zwischenwänden rumorenden Mäusen zu und beobachten tagsüber Elefanten, Nashörner, Krokodile und allerhand Vögel, die in diesem entspannten Flecken Nepals leben. Einen Tag wandern wir mit zwei Rangern durch den Nationalpark, den anderen Tag machen wir eine Fahrradtour ins Umland. Negative Highlights sind der Sturz von der Hängematte, bei der wie absehbar die Befestigungsschnüre gerissen sind und seit dem mir mein Steißbein ordentlich schmerzt und ein Zeckenbiss, der sich entzündet hat.
Mit diversen Bussen reisen wir nach ein paar Tagen weiter durch das Terai, den südlichen Teil Nepals, nach Lumbini, der Geburtsstadt Buddhas. Mit Fahrrädern erkunden wir das große Areal, in dem sich viele buddhistische Tempel verschiedener Länder befinden, stoppen beim kambodschanischen, beim burmesischen und beim japanischen Tempel und natürlich auch beim Mayadevi-Tempel, der auf dem Geburtsplatz Buddhas erbaut wurde.
Unseren letzten Stopp auf dem Weg in die zweitgrößte Stadt Pokhara legen wir in Tansen ein und feiern hier das Farbenfest Holi. Hauptsächlich Kinder und Jugendliche schmeißen wie die Wilden Farbbeutel durch die Gegend und natürlich sind wir als Ausländer beliebte Ziele. Farblich bunt gezeichnet, spazieren wir trotzdem noch zum Aussichtsturm oberhalb der Stadt und verziehen uns dann aber bald zurück ins Hotel. Nach der nötigen Dusche verspüren wir keine Lust mehr, uns nochmal ins Getümmel zu stürzen und bleiben zu Hause.
Und dann kommen wir nach einer wieder langen Busfahrt in Pokhara an, Nepals Touristenhochburg, malerisch am Phewa-See gelegen. In einem gemütlichen Guesthouse mit tollem Garten quartieren wir uns ein und stoßen ein paar Tage später auf unser einjähriges Reisejubiläum an! Dieses erste Jahr ging einerseits so schnell vorbei, doch haben wir andererseits auch so viel erlebt. Wenn wir daran denken, welchen Menschen wir begegnen durften, welche Landschaften wir durchquert haben, wo es uns besonders gut ging und auch wo besonders schlecht, dann ist doch einfach wahnsinnig viel in diesem einen Jahr passiert! Eigentlich wollten wir nach unserer ursprünglichen Planung nun bereits wieder zurück zu Hause sein, doch wir sind hier in Nepal und bereiten uns auf unsere Wandertour in den Himalaya vor. Wo wir wohl heute in einem Jahr sein werden?
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