Von Vietnam zurück nach China
Es ist der 1. Oktober 2018 und China begeht seinen Nationalfeiertag. Genau heute vor einem Jahr waren wir schon einmal in China, in der Stadt Kaschgar ganz im Westen des Landes, rund 5.500 Kilometer entfernt. Niemals hätte ich mir an diesem Tag träumen lassen, dass wir den nächsten 1. Oktober wieder in China verbringen werden. Doch hier sind wir, zum zweiten Mal am Nationalfeiertag und bereits zum dritten Mal auf dieser Reise.
Nach unserer Radtour durch Vietnam ist unsere erste chinesische Station die Stadt Nanning. Obwohl wir noch nie zuvor hier gewesen sind, ist sie uns doch vertraut: Die Straßen großzügig angelegt, Gehwege ohne Stolperfallen, ohne plötzlich auftauchende Löcher oder Verkehrsschilder, an denen man sich den Kopf anschlägt. Leise Elektro-Motorroller, die wie aus dem Nichts hinter uns auftauchten und uns erschrecken. Uns unverständliche Werbereklame und Beschriftungen. Ampeln, an denen sogar gehalten wird. Es ist so still hier. Wo ist all das Gehupe und der Verkehrslärm Hanois geblieben? Wir sind wieder in China und es fühlt sich gut an.
In Nanning erledigen wir die Aufgaben, die sich uns immer in einem neuen Land stellen: Geld abheben und eine SIM-Karte ergattern. Wobei letzteres in China ein Spießrutenlauf ist und uns einen halben Tag beschäftigt. Doch dieses Mal haben wir am Ende immerhin Erfolg. Mit der Wahl unseres Hotels haben wir Glück: Das gemütliche Home Inn Jiang Nan Stadium Branch liegt in Gehweite zu Nannings Nachtmarkt und auch die Innenstadt können wir bequem zu Fuß erreichen.
House Sitting in Shenzhen
Mit dem Superschnellzug fahren wir nach nur einem Tag in Nanning komfortabel weiter nach Shenzhen. Die 660 Kilometer legen wir in vier Stunden zurück. Der Zug fliegt erschütterungsarm über die Gleise, vor unserem Fenster ziehen erst Berge, dann Felder und langsam immer mehr Häuser vorbei. Es herrscht eine Ruhe wie in einem deutschen ICE. Per Lautsprecher informiert uns in regelmäßigen Abständen ein Herr mit angenehmer Stimme auf chinesisch und englisch, dass wer ohne gültigen Fahrschein im Zug erwischt wird, in Zukunft keine Tickets mehr wird kaufen können und die Tat im seinem persönlichen Punktekonto erfasst wird.
Das Zugreisen in China strotzt vor Gegensätzen: Heute sitzen wir angenehm in einem Luxuszug und wünschen uns, die Fahrt würde länger als nur vier Stunden dauern. Letztes Jahr erlebten wir im Westen Chinas Zugfahrten, in denen Abteile so vollgestopft waren, dass wir kaum mehr hineinkamen und obwohl wir Sitzplätze reserviert hatten, wir sie uns trotzdem mit anderen Fahrgästen teilten. Wir erinnern uns an die Sonnenblumenkerne knackenden älteren Menschen um uns herum, die die vielen Schalen auf den Boden fallen ließen und an die militärisch auftretende Zugbegleiterin, die laut schreiend allen einmal pro Stunde befahl, die Füße zu heben, um das Abteil durchfegen zu können. Während heute alle Gepäckstücke platzsparend und sicher auf den Ablagen verstaut sind und wir Fahrgäste viel Beinfreiheit haben, wurden in unserem Zug im Westen Chinas die riesigen Gepäckstücke auf den Sitzlehnen abgestellt und mit Schnüren an der Wand befestigt. Und trotzdem war kein Durchkommen.
Langsam verringert der Schnellzug sein Tempo und ein Blick aus dem Fenster in das draußen vorbeifliegende Häusermeer zeigt uns, dass wir uns dem Bahnhof Shenzhens nähern.
Eine Woche – die Golden Week – werden wir in Shenzhen House Sitting machen und entgehen damit überhöhten Preisen und ausgebuchten Hotels. In der Golden Week, die sieben Tage rund um den chinesischen Nationalfeiertag, hat ganz China frei und was es bedeutet, wenn hunderte Millionen Menschen gleichzeitig Urlaub machen, durften wir schon letztes Jahr erleben. Auch Athena und Michael, auf deren Wohnung wir hier in Shenzhen aufpassen werden, haben diese Woche frei und nutzen sie für einen kurzen Urlaub.
Nach einer Odyssee im Taxi durch die nördlichen Bezirke Shenzhens kommen wir über eine Stunde später als gedacht endlich am Eingangstor eines Golfplatzes an. Hier werden wir wohnen. Auf dem Golfplatz! Athena und Michael nehmen uns in Empfang, zeigen uns ihre Wohnung und stellen uns ihre Katzen Possum und Mayo sowie die zwei Schildkröten vor. Als Lehrer an der internationalen Schule ist ihnen die Wohnanlage auf dem nahen Golfplatz vorgeschrieben. Für uns hat der Standort Vor- und Nachteile: Wir leben im Grünen, schauen morgens auf den Golfplatz hinunter, hören die Vögel zwitschern und haben einen schönen Blick auf die Skyline Shenzhens am Horizont. Dafür sind wir für einen Ausflug ins Zentrum mit Hin- und Rückweg aber auch den ganzen Tag und 80 Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.
Das Zentrum von Shenzhen besuchen wir aufgrund der langen Anreise nur zweimal. Einmal am chinesischen Nationalfeiertag, denn wir möchten sehen, wie der hier im Osten Chinas begangen wird. Aber im Gegensatz zu den in Kaschgar omnipräsenten Chinaflaggen an Häusern, Marktständen oder als Aufkleber in Gesichtern scheint China hier im Osten des Landes so chinesisch zu sein, dass es sich entspannt zeigen kann. An der Bucht von Shenzhen herrscht eine gemütliche Picknickstimmung wie bei einem großen Festival. Fast alle Grünflächen sind besetzt und die Leute scherzen, spielen Ball und genießen den Tag.
Ein zweites Mal fahren wir ins Zentrum, um Sebastians ehemaligen Kollegen Curtis zu treffen. Was für ein Zufall, dass seine Geschäftsreise nach Hongkong genau auf den Zeitraum fällt, an dem wir im benachbarten Shenzhen sind! Gemeinsam laufen wir durch die Stadt. Vor etwa 20 Jahren war hier nur ein Fischerdorf, heute leben über 12 Millionen Menschen in der Metropole, die eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt ist.
Am Sonntag, dem letzten Tag der Golden Week, beenden wir unseren House Sit bei Possum und Mayo und machen uns auf die kurze Reise nach Hongkong. Es gibt verschiedene Wege, in die Sonderverwaltungszone zu reisen. Wir könnten einfach mit der Metro fahren. Doch uns wurde von so vielen Menschen die ganz neue Schnellzugverbindung zwischen den Hauptbahnhöfen von Shenzhen und Hongkong empfohlen, dass wir uns für diese entscheiden.
Die falsche Entscheidung, wie wir später wissen. Denn obwohl die Fahrt nur zwanzig Minuten dauert, müssen wir kompliziert durch die Sicherheitsüberprüfungen am Bahnhof und verlieren dabei auch noch unser letztes Messer! Bereits das dritte, welches uns in China abgenommen wird. Zudem fährt der Zug die gesamte Strecke durch einen Tunnel, sodass wir rein gar nichts sehen.
Die Einreise nach Hongkong verläuft dafür unproblematisch: Wir verlassen China offiziell und reisen nach Hongkong ein. Hier dürften wir bis 5. Januar 2019 bleiben – ganze drei Monate! Leider haben wir aber nur fünf Tage vor Ort.
Ein Wiedersehen in Hongkong
Hongkong begeistert uns. Die Stadt ist alt und hat Charme. Hier gibt es keine großen, perfekten, fünfspurigen Straßen, die sich durch die Planstadt ziehen, sondern die Straßen sind eng, steil und museumsreif wirkende Straßenbahnen klappern über den Mittelstreifen.
Auch die Leute selbst wirken überraschend individuell. Wir sehen Haarschnitte, die vom festlandchinesischen Trend abweichen und zum ersten Mal in China überhaupt eigentlich Leute, die irgendwie hip, alternativ oder ihrem eigenen Stil folgend aussehen.
In Hongkong treffen wir auch Karelle aus Frankreich wieder, die wir in Tibet kennengelernt und vor drei Monaten in ihrem Zuhause in Singapur besucht haben. Mittlerweile arbeitet und lebt sie in Hongkong. Zusammen mit Curtis, der auch noch in der Stadt ist, gehen wir abends zu viert essen.
Karelle führt uns schick aus und obwohl wir davon ausgehen, dass es etwas teurer als sonst wird, müssen wir am Ende doch schlucken. 60 Euro kostet das (leckere) Abendessen beim Griechen für Sebastian und mich! Es wird als teuerstes Abendessen der ganzen Reise in die Geschichte eingehen, der Abend ist aber trotzdem gelungen und Karelle bietet uns einen Einblick in ihr gerade beginnendes Leben vor Ort.
Mietpreise in Hongkong liegen nochmal etwa 60% über denen des auch schon sehr teuren Singapurs. So lebt Karelle auch nach über zwei Monaten noch im Hotel, weil sie einfach keine passende und bezahlbare Wohnung findet. 3.000 Euro pro Monat für eine 50 Quadratmeter Wohnung ist laut ihr in Hongkong absoluter Standard.
Auch das Motel Happy Peach ist mit 31 Euro pro Nacht gut doppelt so teuer wie alle Hotels, in denen wir in den letzten Monaten in Südostasien gewohnt haben, dafür aber so klein wie keines zuvor. Etwa acht Quadratmeter stehen uns zur Verfügung und eigentlich können wir uns im Zimmer nur bewegen, wenn einer auf dem Bett sitzt und den schmalen Gang freigibt.
Wandern auf dem Dragon’s Back
Hongkong gefällt uns trotz der hohen Preise. Die Skyline beeindruckt uns bei allen Lichtverhältnissen, wir spazieren tagsüber an der Promenade von Tsim Sha Tsui entlang und abends durch das Viertel Soho auf der Hong Kong Island.
Am nächsten Tag fahren wir raus ins Grüne. Mit Metro und Bus erreichen wir etwa eine Stunde später den Ausgangspunkt zur Wanderung auf dem Dragon’s Back. Anfangs führt uns der schmale Weg durch eine mediterran anmutende, karge Landschaft. Doch oben angekommen auf der Hügelkette, dem „Rücken des Drachens“, haben wir einen fantastischen Blick hinunter zu beiden Seiten des Grats. Auf der einen Seite sehen wir unten in der Ferne Hongkong liegen, auf der anderen Seite schimmert das Meer.
Wir sind nicht alleine hier oben, aber es ist auch nicht zu viel los. Bei perfektem Wanderwetter, etwas wolkig und damit nicht zu heiß, verbringen wir diesen schönen Tag außerhalb des Gewusels der Riesenstadt.
An unserem letzten Tag in Hongkong macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Erst regnet es in Strömen und dann versinkt die Stadt in dichtem Nebel. Wo wir vor zwei Tagen noch eine tolle Sicht auf die Hong Kong Island hatten, schaffen es jetzt nur noch die hartnäckigsten Werbereklamen, ihre Botschaft durch den dicken Nebel zu senden.
Ein letztes Mal treffen wir uns mit Karelle und Curtis, morgen fahren wir für ein viertes Mal zurück nach China.
Anfangs waren wir uns nicht sicher, ob wir den Abstecher nach Hongkong überhaupt machen sollen, denn er bedeutet eine Aus- und neue Einreise nach China und dementsprechend ein Visum, welches mindestens zwei Einreisen gestattet. Aber jetzt sind wir froh, hier gewesen zu sein. Hongkong ist cool! Die Stadt ist es, mit ihrer unglaublichen Lage so nahe an Stränden, Wanderwegen und Aussichtspunkten in den Bergen und die Menschen sind es auch, die so anders als ihre Nachbarn ihm nahen Shenzhen wirken.
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