Ein Jahr zurück zu Hause

Leo und Sebastian sitzen auf der Laderampe des Umzuglasters.

Der 11. Dezember 2020 ist ein kalter Wintertag. Die Garage gegenüber ist von einer dünnen Schicht Schnee bedeckt, warme Heizungsluft steigt vor der Innenseite des Fensters auf. Es ist Freitag und für mich ganz wörtlich mein freier Tag. Nicht so für Sebastian, der nebenan in seiner Arbeitsecke in unserem Wohn-Esszimmer sitzt und Dank mobilem Arbeiten von hier aus an der virtuellen Weihnachtsfeier seiner Firma teilnimmt.

Seit einem Jahr ist unsere Reise nun abgeschlossen und richtig gelesen – wir arbeiten beide wieder, haben damit formal den Schritt zurück in ein „normales“ Leben getan.

Es liegt ein relativ unaufgeregtes Jahr hinter uns, wenn ich das mit den drei letzten Jahren der Reise vergleiche. Kaum Ortswechsel, wenige Überraschungen, wenige Begegnungen mit unbekannten Menschen. Und doch ist es ein Jahr, das wahrscheinlich niemand so schnell vergessen wird. Es ist das Jahr von Corona, Kontaktbeschränkungen und dem wachen Blick auf Inzidenzwerte.

Rückblickend ist es eine glückliche Fügung, dass wir beide vor etwa 1 ½ Jahren auf Sebastians Bauchgefühl hörten und uns auf den Weg in Richtung Heimat machten. Vor einem Jahr war das Leben in Deutschland ein anderes als heute, unbeschwerte Tage bei Freunden liegen hinter uns, als wir am 11. Dezember 2019 bei unseren Eltern in Herrenberg ankommen. Die Wochen zuvor waren wir auf einer kleinen Freunde-Tournee, schliefen jede Nacht in einem anderen Gästezimmer und zogen am folgenden Tag weiter. Unvorstellbar ist das heute.

Ich bin froh, dass wir irgendwann entschieden, Weihnachten 2019 wieder zu Hause zu feiern. Dank dieser Entscheidung konnten wir unsere Reise so beenden, wie wir das wollten, konnten Stopps einlegen, Menschen besuchen und ohne Flugzeug auch die letzte Etappe von Mittelamerika nach Europa zurücklegen. Wir wurden nicht wie manch andere Reisende durch Corona gezwungen, Pläne zu ändern und die Reise mittendrin abzubrechen.

Kurz vor Weihnachten kamen wir bei unseren Eltern an und genossen die Zeit mit Familie und Freunden in vollen Zügen. Tranken Glühwein auf Weihnachtsmärkten, wurden zu grünem Thai Curry eingeladen und trafen Freunde in einem urschwäbischen Restaurant irgendwo in Stuttgart.

Die Narren ziehen durch Tübingen.
Die Narren sind los bei der schwäbisch-alemannischen Fasnet in Tübingen. Nur einige Monate her, aber aktuell schwer vorstellbar, dass so viele Menschen ohne Masken beisammen stehen.

Als das Jahr 2020 beginnt, liegt, wie in den Jahren zuvor, ein leerer Raum vor uns, den wir nun aber nicht mehr mit dem Besuch anderer Länder füllen werden, sondern für den wir uns nun neu überlegen müssen, was wir mit unserer Zeit anfangen möchten. Was machen wir nun nach dieser Reise? Worauf haben wir Lust?

Das Wiedereinziehen in unsere alten Kinderzimmer ist keine wirkliche Option und so nehmen wir dankbar das Angebot an, für ein Weilchen im Souterrain im Haus meiner Oma in Tübingen einzuziehen. Aus diesem Weilchen werden 3 ½ Monate, in denen wir einen ersten Vortrag über unsere Reise in Leipzig halten, lernen, wie man selbst Schokolade herstellt und mit meiner Oma Triominos spielen, Blätterteigtaschen backen und alte Seemannslieder singen. Langsam stellen wir uns um vom Reisemodus auf das Leben an einem festen Ort. Es ist schön, die Rucksäcke ausgepackt zu haben und wieder Routinen zu entwickeln.

Aber trotzdem wissen wir auch, dass die Zeit bei meiner Oma nur eine weitere Etappe und nicht von unendlicher Dauer sein wird. Denn obwohl wir uns hier sehr willkommen fühlen, sind wir trotzdem Gäste und es wäre schön, wieder eine eigene Wohnung zu haben und irgendwo zu Hause zu sein. Absolut unerwartet, ohne überhaupt auf der Suche zu sein, wird uns im Februar eine Wohnung in Augsburg angeboten, ein echter Glücksfall für zwei arbeitslose Weltreisende auf dem hart umkämpften Augsburger Wohnungsmarkt (danke, Jenny!). Wir greifen zu, denn was uns so in den Schoß fällt, muss einfach richtig sein.

Im April, mitten im Corona-Lockdown, ziehen wir bei meiner Oma aus und in unsere neue und erste gemeinsame Wohnung. Zu dieser Zeit sind wir immer noch ohne feste Arbeit, aber beide mit dem Vertrauen, dass sich schon etwas finden wird.

Umzugskisten stapeln sich in der Wohnung.
„Wir haben nur das Nötigste aufgehoben“, erzählten wir während der Reise immer wieder. Was ist dann nur in diesen ganzen Kisten drin, frage ich mich?

Gerade mal drei Tage nach unserem Umzug bekommt Sebastian die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Die Stelle hört sich toll an, aber der Arbeitsort…? Ist leider genau da, wo wir gerade weggezogen sind, nämlich in Tübingen! Sebastian nimmt die Einladung trotzdem an und bekommt kurz darauf die Zusage. Ab Juli arbeitet er nun bei einem Großhandel für Photovoltaikanlagen und ist unter der Woche weg.

Für mich selbst ist das die wohl größte Umstellung. Nach drei Jahren immer zusammen, macht es nun keinen Spaß, die Woche alleine in unserer gemeinsamen Wohnung zu verbringen. Auch ich bewerbe mich auf interessante Stellen und habe schließlich sogar zwei Angebote: Ich entscheide mich, ab August wieder bei meinem alten Arbeitgeber einzusteigen. Ab nun drehen sich meine Tage um Seminare und Workshops im Bereich Nachhaltigkeit.

So sind wir auf einmal beide wieder im „normalen“ Leben angekommen. Obwohl mir meine Arbeit Spaß macht und ich tolle Kollegen habe, fällt mir jetzt besonders auf, wie unglaublich viel Zeit meines Lebens durch die Arbeit eingenommen wird. Und dabei habe ich nicht einmal eine volle Stelle.

„Man merkt, dass ihr einen ganz anderen Umgang mit Zeit habt“, sagt Sebastians Vater bei einem Besuch im Sommer. Das stimmt. Drei Jahre lang konnten wir uns frei überlegen, wie wir den Tag verbringen möchten, lebten ohne Terminkalender und Verpflichtungen. Die Umstellung auf acht Stunden Arbeit pro Tag ist nicht ganz einfach.

Mit den Fahrrädern auf dem Donauradweg.
Ein Wochenendausflug sorgt für Ablenkung von Wohnungseinrichtung und Jobsuche: Mit Konni und Annika fahren wir ein Wochenende mit den Rädern entlang der Donau.

Doch das Jahr 2020 schreitet dahin, die Tage fliegen im neuen Arbeitsrhythmus an uns vorbei und Corona bringt mal mehr Einschränkungen mit sich, mal weniger. Wir finden uns immer weiter ein in unser neues altes Leben. Dank den ab Herbst geltenden Kontaktbeschränkungen kann Sebastian vermehrt von zu Hause aus arbeiten, ein positiver Nebeneffekt der aktuellen Situation.

Als nun wieder Arbeitnehmer mit begrenzten Urlaubstagen finden wir uns schon bald in einer Schwierigkeit wieder, die wir von vor der Reise kennen: Wir möchten Freunde in Portugal besuchen, am liebsten ohne Flugzeug. Etwa 2 ½ Tage soll die Zugfahrt dauern, übernachten würde man irgendwo unterwegs. 5 Tage wären das insgesamt, die wir mit Masken im Zug verbringen würden, denn im Herbst sind die Coronazahlen in Frankreich und Spanien hoch.

Nach langem Diskutieren, Zögern und Abwägen entscheiden wir uns schließlich für das Flugzeug. Leicht fällt mir die Entscheidung nicht, denn obwohl unsere Reise abgeschlossen ist, habe ich das Prinzip ohne Flugzeug zu reisen doch ziemlich verinnerlicht. Trotzdem möchte ich mich auch nicht von Außen in die Schublade „die, die nie wieder in ihrem Leben fliegen wird“ stecken lassen. Obwohl wir nach Portugal geflogen sind, werden wir uns auch in Zukunft genau überlegen, ob wir wirklich fliegen oder unser Ziel nicht doch über Land erreichen können.

Im Urlaub realisiere ich erst langsam, wie gut es tut, nach 10 Monaten in Deutschland endlich mal wieder an einem anderen Ort zu sein. Im Ferienhäuschen unserer Freunde genießen wir die Ruhe und bekommen Dank des schlechten Internetempfangs nur wenig aus Deutschland mit. Wir schwelgen in Reiseerinnerungen, die uns hier wieder vermehrt in den Kopf kommen. 

Von außen betrachtet sind wir gut zurück in Deutschland angekommen und können uns nicht beklagen: Wir haben eine tolle Wohnung, Jobs, die uns Spaß machen, und Freunde und Familie in Reichweite. Doch beschleicht mich manchmal das Gefühl, unsere Reise sei gar nicht wirklich passiert, als wäre sie nur ein langer Traum gewesen, aus dem ich nun wieder aufgewacht bin. Waren wir wirklich unterwegs? Sind die letzten drei Jahre tatsächlich passiert?

Sonnenaufgang in Portugal.
Sonnenaufgang in Alentejo in Portugal. Ein guter Ort, um ein bisschen Abstand zu unserem neuen alten Leben zu gewinnen.

Schneller als erwartet steht schon wieder Weihnachten vor der Türe und genau wie im letzten Jahr würden wir auch 2020 am liebsten Freunde treffen und mit unseren Familien in großer Runde feiern. Doch daraus wird leider nichts. Wir verbringen die Festtage im kleinen Familienkreis. Für mich ganz ungewohnt, aber trotzdem schön.

Unser erstes Jahr zurück zu Hause liegt auf einmal schon hinter uns und wir blicken auf ein neues Jahr. Wir freuen uns auf 2021 und hoffen für uns alle, dass es bald wieder möglich sein wird, sich ohne besondere Hygienemaßnahmen zu treffen, zu reisen, verschobene Hochzeiten und Feste nachzuholen und dass wir selbst immer weiter in Deutschland ankommen werden.

Wir wünschen euch ein schönes neues Jahr 2021!

Liebe Grüße

Leo & Sebastian

Leo und Sebastian auf der Burg Marvao in Portugal.

6 Comments

  1. Servus Leo & Sebastian,
    ich kann mich noch sehr gut an Euren ersten Vortrag in Leipzig 2020 erinnern; ihr hattet mich eingeladen, da ich kurzfristig von Chemnitz (Reha) angereist kam.
    Mich haben Eure Erzählungen über Eure Reise sehr fasziniert und mich zu meiner unbefristeten We(l)itreise mit Motorrad und/oder ausgebauten Ducato Kastenwagen bestärkt.
    Ich freue mich für Euch, dass Ihr hier in D wieder Fuß fassen konntet und Freunde und Familie um Euch habt, da es Euch auch wichtig ist.
    Ich für mich wähle eher die Gegenseite, da ich dem politischen Deutschland, den Verantwortlichen und seinen ergebenen Bewohnern nicht mehr viel abgewinnen kann. Durch meine lange Depressionsphase aufgrund der bisherigen Nichtbewältigung der Realitätsveränderung in meinem Inneren zum erträglichen, glücklichen Leben in Gleich- und Demut im Außen, werde ich mich nun (bei der nächsten Gelegenheit) auftun und nichteuropäische Länder und Kulturen kennenlernen.
    Dies scheint mir in meiner – schon wieder ausgeglichener und druckloser Lage (2020 verrentet) – die gesündeste und interessanteste Art, wieder Vertrauen in Menschen zu finden. Unbefristet andere Lebensweisen und Ansichten zu studieren und in das Leben einzutauchen steht auf meiner Fahne. Die letzten Jahre war es eher ein Existieren, anstatt Leben.
    Das erleben anderer Kulturen war es auch, das Ihr so toll im Vortrag rübergebracht habt.
    Ich wünsche Euch ein glückliches und gesundes 2021 und ff.

    1. Lieber Peter,
      das ist ja schön, von dir zu lesen! Wir erinnern uns auch noch sehr gut an dich und deinen spontanen Besuch in Leipzig – den leckeren Kuchen haben wir uns im Anschluss an den Vortrag schmecken lassen 🙂
      Es freut mich und uns sehr, dass wir dich mit unserem Vortrag in deinem Vorhaben bestärken konnten, mit Motorrad oder Kastenwagen um die Welt zu reisen! Auch bei mir beginnen vor allem bei solch grauem Winterwetter die Gedanken wieder in Richtung einer neuen Reise zu wandern… Mal schauen, was so kommen wird.
      Dir wünschen wir alles Gute für 2021 und dass das Reisen bald wieder möglich sein wird!
      Ich bin gespannt, in welche Richtung du aufbrechen wirst.
      Viele Grüße
      Leo

  2. Liebe Leo, hallo Sebastian, es ist so schön, wieder von euch zu lesen.
    Ich, Maresa, hab euch während der gesamten Reise virtuell begleitet, hab mich so sehr über eure Berichte und die wunderschönen Fotos gefreut.
    Das Highlight für mich war, als ihr Claudia und Bernd in Goa getroffen habt. Ohne euch zu kennen, seid ihr vier mir durch die Blogs sehr vertraut.
    So gerne hätten auch wir die Reise angetreten mit unserem Van .. aber das Leben schreibt seine eigenen Geschichten. Im September 2018 ist mein Liebster auf unserer Urlaubsreise im Wohnmobil in Montenegro gestorben … die gemeinsamen Träume musste ich mit ihm beerdigen … er war jung – plötzlich und unerwartet wie es immer heisst.
    Das Leben geht weiter … ihr habt mir mit euren Berichten Hoffnung und Lichtblicke gegeben … vielen lieben Dank dafür.
    Wenn es wieder geht, werde ich allein reisen … in ein paar Jahren kann ich ganz aussteigen. Mein Plan ist dann, für längere Zeit an einem Ort zu bleiben um besser einzutauchen …
    Ich wünsche euch beiden noch wunderbare Zeiten und viele tolle Reisen.
    Gebt ihr noch Vorträge? … ich würd euch so gerne mal live hören.
    VlG Maresa

    1. Liebe Maresa,
      dass dein Mann so unerwartet von dir gegangen ist, tut mir wahnsinnig leid! Ich erinnere mich noch, wie du vor vielen Jahren (2017!) in einem Kommentar von eurer geplanten Reise erzählt hast. „Das Leben schreibt seine eigenen Geschichten“ schreibst du. Leider ja. Ich finde es sehr bewundernswert, dass du deine Reisepläne trotzdem weiterverfolgst! Und ich hoffe für dich und für uns alle, dass wir bald wieder sorgenfrei in der Welt unterwegs sein können.
      Momentan haben wir keine Termine für weitere Vorträge, das liegt an der aktuellen Situation, aber wir hoffen, dass wir auch in 2021 wieder live von unserer Reise erzählen können. Wenn du dabei sein könntest, würde uns das sehr freuen!
      Herzliche Grüße aus Augsburg
      Leo

  3. Hallo,
    habe erst jetzt wieder durch internetzugang Euch unter
    eins, zwei, frei
    aufgerufen und von 2021 gelesen. Dies solange etwa her, wie Eure Reise dauerte. Wie geht es euch heute?
    ich konnte letztes Frühjahr 7 Wochen interrailreise machen, Brüssel, Santiago de compostella, Venig, per Fähre Griechenland, Sofia, Ankara, kappadokien, Van und retour.
    Freue mich über Antwort an Hanno aus Augsburg

    1. Hallo Hanno,
      das ist ja schön, von dir zu lesen! Deine Interrailreise hört sich toll an, da hast du ja eine ordentliche Strecke zurückgelegt! Uns geht’s gut. Der Alltag hat uns wieder und die Reisen führen uns aktuell durch Europa, aber das ist auch sehr schön 🙂
      Viele Grüße nach Augsburg
      Leo

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